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Man Down

Man Down

Titel: Man Down Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Pilz
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Sekt und Gummi. Ich schlich ins Wohnzimmer. Da lag sie auf der Couch, zugedeckt mit der senffarbenen Decke, mit der sich Shane immer vor dem Fernseher zudeckte, das Köpflein zur Seite, die Augen geschlossen.
    Sie hatte mich nicht kommen hören.
    „Wie konntest du das tun, Marion?“, fragte ich mit brüchiger Stimme. „Wie kannst du mich so betrügen?“
    Sie rührte sich nicht. Ich musste mich überwinden, die paar Schritte zu machen, um mich neben sie auf die Couch zu setzen.
    „Du hast alles kaputt gemacht“, sagte ich. „Ich hab doch sonst nichts außer dir. Ohne dich habe ich doch gar nichts mehr. Wie konntest du das tun?“
    Sie war nackt, sie war blass, ihr Lippenstift war verschmiert, ihr Augen-Make-up war zerronnen, sie hatte geweint. Ihre Haare waren so kurz, als gehörten sie einem Jungen. Ihr Köpfchen war so klein, als wäre es das Köpfchen eines Schulmädchens. Unschuldig. Unglücklich verliebt. Poster an der Wand. Keine Ahnung von den bösen Dingen auf dieser Welt.
    Auf einmal überkam mich Panik. Sie war völlig reglos. Sie rührte sich nicht. Ich berührte ihren Arm, er war so kalt, ich legte meine Hand auf ihren Kopf, aber sie war völlig weggetreten. Ich rief ihren Namen, aber sie reagierte nicht. Ich schüttelte sie, aber sie wurde nicht wach. Ich öffnete ihre Augenlider, aber sie wurde einfach nicht wach.
    Ich küsste ihren Mund, ich küsste ihre Stirn. Ich schüttelte sie, ich kniff sie, ich tat alles, um sie aufzuwecken, aber sie lag nur da. Wie tot.
    Sie war tot.
    Marion war tot.
    „Oh nein“, sagte ich. „Oh Gott, nein.“
    Ich fing an zu zittern und die Tränen liefen mir über die Wangen, ich riss die Decke weg, aber da war kein Blut, kein Messer im Bauch, da war nur ihr nackter Körper, aber er sah geschunden aus, er war so fremd, so weiß und kalt.
    „Was haben sie mit dir gemacht, Kleine, was haben sie mit dir gemacht?“
    Ich legte meinen Kopf auf ihren. Wange an Wange lagen wir da.
    „Lass mich nicht alleine, Marion“, sagte ich. „Bitte … du darfst mich nicht alleine lassen. Du kannst jetzt nicht gehen, Mädchen. Wie soll ich denn das schaffen ohne dich? Du bist doch alles, was ich habe. Ich habe doch sonst nichts. Ich hab doch sonst gar nichts mehr.“
    Sie rührte sich nicht. Ihr Körper war so kalt.
    „Hörst du mich? Hörst du mich denn nicht?“
    Und dann überkam mich die Vorstellung, nie wieder ihre Stimme zu hören, nie wieder mit ihr zu lachen, nie wieder mit ihr zu tanzen, und dieser Gedanke war so ungeheuerlich, so unfassbar, dass ich nach Luft schnappen musste, um nicht zu ersticken. Ich rutschte von der Couch und plumpste auf den Boden. Aber da war kein Boden, ich fiel, ganz tief, ich fiel, wie in meinen Träumen fiel ich hinunter in eine finstere Schlucht, aber dieses Mal hatte ich keine Angst vor dem Aufprall, vor dem Schmerz. Hatte ich einfach keine Angst mehr. Ich wollte unten ankommen, ich wollte, dass all meine Knochen brachen, meine Lunge explodierte, meine Augen platzten.
    Ich sehnte den Schmerz herbei, den letzten, größten, endgültigen Schmerz.
    Und dann fand ich diese Schachtel Valium auf dem Boden, Nellys Valium, ich riss sie auf, sie war leer, auf allen vieren sprang ich wie ein tollwütiger Hund in dem Zimmer herum und suchte die verfluchten Tabletten. Aber als ich sie endlich fand, zählte ich sie nicht. Ich wollte nicht wissen, wie viel sie genommen hatte. Wollte nicht wissen, ob sie schlafen oder sterben wollte. Ich würde so oder so nie wieder mit ihr lachen. Nie wieder mit ihr tanzen.
    Und so dachte ich nur mehr an mich. Nur mehr daran, von hier zu verschwinden.
    Draußen, beim Kiosk, als ich nochmals rüber zum Block sah, nahm ich mein Handy und tippte mit zitternden Händen 112.
    Und ich machte nen Deal mit dem lieben Gott.
    „Lass sie überleben, und ich nehme keine Scheißdrogen mehr. Ich nehm nie wieder irgendwas. Ich bleib clean. Aber Scheiße. Lass sie leben.“
    ***
    In den nächsten Tagen hatte ich immer wieder das Gefühl, verrückt zu werden. Manchmal stand ich in der U-Bahn, das Eisen unter meiner Jacke, und ich wollte das Ding herausholen und den Menschen das Grinsen aus den Gesichtern schießen. Wollte, dass sie litten, genau wie ich. Aber das wäre feige gewesen. Ich wollte doch nie mehr ein verfluchter Feigling sein. Wenn schon eine Patrone abfeuern, dann mitten in meine Fresse.
    Die meiste Zeit lag ich im Bett und musste mir eingestehen: Dieses Mal packst du es nicht mehr.
    Du wirst verrückt, Kai. Du verlierst den

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