Man Down
Tag. Er war aufgekratzt, ich konnte sofort an seinen Augen erkennen, dass er sich was ganz Übles eingeschmissen hatte. Er hatte ein neues Oberarmtattoo, einen riesigen Drachen, der eine Jungfrau verspeiste, und ich wusste sofort, dass er die Vorlage gezeichnet hatte, denn der Drache sah aus wie das Krokodil, das an seiner Wand hing, und die Jungfrau wie der Fisch auf seiner Klotür.
Es war unser erstes Treffen seit langer, langer Zeit. Wir saßen im Englischen Garten, irgendwo im Niemandsland der Wiesen, inmitten tausender Sonnenhungriger. In der Nähe hämmerten Afrikaner oder Brasilianer auf ihre Trommeln. Ein paar Nackte präsentierten ihre langen, dünnen Schwänze, ihre Bierbäuche und platten Hintern.
„Hör zu, Kai“, sagte er und fotografierte mit seinem Handy ein Mädchen, das sich ein paar Meter von uns entfernt auf dem Bauch liegend sonnte. „Es gibt ein Problem.“
„Ein Problem?“
„Ich habe kein gutes Gefühl. Wegen dem Heimfest, verstehst du?“
„Auf dein Gefühl scheiß ich. Das ist meine letzte Tour. Dann bin ich frei.“
Shane tippte auf seine Nase. „Ich kann die Bullen riechen, Kai. Sie schließen die Reihen enger.“
„Ich hol das Zeug aus der Schweiz. Mich erwischt keiner.“
„Ich hab was von ner Razzia gehört.“
„Razzia?“
„Die wollen das Heim hochnehmen. Rugby ist ein lieber Kerl, er vertickt jede Menge Gras, ich habe nichts gegen ihn. Aber wenn die Bullen den in die Mangel nehmen, dann plaudert der alles aus.“
„Von wem hast du das mit der Razzia?“
„Von Violetta.“
„Und Violetta ist eine seriöse Quelle?“
„Die zuverlässigste auf der ganzen Welt.“
„Hast du sie gebumst?“
„Wer hat das nicht?“
Ich strich mit meiner Hand über sein Tattoo. Die Wunde war noch ganz frisch
„Dürfen Moslems überhaupt tätowiert sein?“
„Bin ich n Moslem, Babyface?“
„Was sonst?“
„Bin ich n Moslem?“
„Ja, verdammt.“
„Also ist’s erlaubt.“
Er reichte mir das Handy, ich sah mir das Foto an, es war nichts darauf zu erkennen.
„Damit darfst du nicht in die Sonne“, sagte ich. „Mit der Tätowierung.“
„Sonne ist gut für die Haut.“
„In den ersten paar Wochen darfst du nicht sonnenbaden.“
Ich fuhr über die schwarzen Linien, die Schattierungen.
„Finger weg, Schwuchtel“, sagte Shane und schubste mich weg.
„Ich muss in die Schweiz, Shane.“
„Vergiss es.“
„Ich will endlich frei sein.“
„Ich weiß nicht. Mir ist das nicht geheuer.“
Shane schoss ein Foto nach dem anderen. Er zielte genau zwischen ihre Beine.
„Warum hast du mir das nicht gesagt?“
„Was gesagt?“
„Dass David Schulden bei deinen Brüdern hat.“
„Oh Mann!“, sagte Shane. „Du bumst seine Schwester, nicht ich!“
„Marion lässt sich ficken, damit ihr Bruder das Geld zurückzahlen kann.“
Shane lachte, aber das Lachen klang grausam. Seine Haare hingen ihm über die buschigen Augenbrauen. Er sah jetzt aus wie der Tiger, der an der Schranktür in seinem Wohnzimmer hing.
„Und sie lässt sich in deiner Bude ficken. In deiner verdammten Bude.“
Shane seufzte. „Ich hab auf sie aufgepasst, verstehst du?“
„Dafür werde ich dir ewig dankbar sein.“
„Da war n Typ, der hat ihr bös eins verpasst. Der wollte sie in’ Arsch ficken, aber sie hat sich gewehrt. Die Narbe auf ihrem Hintern, die stammt von ihm. Sein zweifach gebrochener Arm, der stammt von mir. Und der Schneidezahn wächst auch nicht mehr nach.“
Der Tiger war gefährlich und stark, aber sein Blick war traurig, und ich wusste auch warum. Der Tiger hatte ein schlechtes Gewissen.
„Du warst immer was Besonderes, Shane. Du warst mehr als n Kumpel. Du warst so was wie n Bruder für mich.“
„N Bruder?“
„Ja, Shane. Wie n Bruder. Du warst mein Bruder, verdammt.“
„Ich habe Marion nicht gezwungen, Kai! Sie hat mich darum gebeten. Es war ganz allein ihre Entscheidung! Sie wollte nicht wie du Drogen schmuggeln, verstehst du? Die dachte, das wäre eine Sünde.“
„Ich hasse dich.“
„Verdammt, jetzt spiel nicht Dramaqueen.“
„Ich hasse dich, Shane.“
„So? Dann töte mich. Sei ein Mann und töte mich!“
„Ich bin kein Türke.“
„Genau das ist dein Problem.“
„Fuck, Shane. Wie konntest du so was tun?“
Shane boxte mich und ich boxte zurück. Er richtete sich auf und gab mir eine Kopfnuss. „Eins muss endlich in deinen Schädel, Kai: Du frisst oder du wirst gefressen. Es geht nach oben oder nach unten, es gibt kein
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