Man Down
selber Briefe geschrieben. Sonst wäre ich verrückt geworden.“
Der Zug fuhr aus dem Bahnhof und beschleunigte langsam. Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen. „Warum war die Tasche leer, Shane?“
„Dein Bruder ist wirklich tot?“
„Warum war die Tasche leer?“
„Schwör mir, dass dein Bruder tot ist.“
Ich legte meine rechte Hand auf die Stelle, unter der mein Herz schlug, und hob die linke Hand mit drei Fingern zum Schwur.
„Ich check das alles nicht mehr, Kai.“
„Warum war die Tasche leer? Hat Mahmud uns gefickt?“
„Mahmud?“, lachte er. „Mahmud ist ne treue Seele. Mahmud zu verlieren ist eine Katastrophe.“
„Wo ist das Zeug?“
„Ich habe Mahmud angerufen und gesagt: Vertick das Zeug in der Schweiz und behalt die Kohle.“
„Du hättest das Gesicht des Bullen sehen sollen, als er das Fell herausgezogen hat!“
„Rugbys altes Schaf stinkt und hat Flöhe. Die Kunden ekeln sich.“
„Und wenn Rugby das Zeug ausscheißen würde, würden es die Leute kaufen. Die können doch alle nicht leben ohne Rausch.“
„Jedenfalls wissen meine Brüder nichts davon. Sie kriegen ihr Geld und der Rest hat sie nicht zu interessieren.“
„Du spinnst, Shane“, sagte ich. „Der Stoff war doch bestimmt … scheiße, wie viel Kohle war der wert?“
„Scheiß drauf. Ich hab meine Karre verkauft.“
„Hast du nicht.“
„Ich bin doch eh nie nüchtern. Ist besser, wenn ich keine mehr habe.“
Der Zug raste vorbei an Häuserblöcken, Mauern, Sträuchern und Hochspannungsmasten.
„Ich werd nicht schlau aus dir, Shane.“
„Ich wusste sowieso, dass das schiefgehen würde, Kai. Die Bullen waren überall. Sie waren sogar bei Burcak. Ich hab nen Verlust gemacht, okay, aber besser, als wenn die Bullen dich erwischt hätten.“
„Du hast mir also wieder mal den Arsch gerettet.“
„Nein, ich habe meinen Arsch gerettet. Du hättest doch geplaudert.“
„Nein. Ich hätte mein Maul gehalten.“
„Die Bullen hätten dich weichgeklopft, Babyface. Die haben ihre Tricks. Denen bist du nicht gewachsen.“
„Glaubst du, ich will so enden wie Max?“
„Max war ein Unfall. Verräter sind das Letzte. Man kann nicht von einem Verbrechen profitieren, um dann andere in die Scheiße zu reiten, wenn es schiefgeht.“
Ich hatte das Gefühl, der Zug würde viel zu schnell fahren. Mir war, als würden wir jeden Moment abheben, die Erdumlaufbahn verlassen und hinaus ins Weltall fliegen.
„Glaubst du, dass es andere Welten gibt, Shane? Andere Dimensionen?“
Shane stieß einen Grunzer aus. „Ich bin jeden zweiten Tag jenseits von dieser Welt. Scheiße, ich war gestern so zugedröhnt, dass ich vor der verdammten Klotür in Violettas Zimmer stand und nicht wusste, wie man sie öffnet. Ich hatte keine Ahnung von Türklinken. Ich hämmerte dagegen, ich stemmte mich dagegen, ich wusste einfach nicht, wie man das scheiß Ding aufkriegt. Da hab ich vor Violetta die Hose runtergelassen und an die Wand gepinkelt.“
„Ich bin mir sicher, dass mein Bruder nicht im Nichts verschwunden ist.“
„Ich wünschte mir, meine Brüder würden im Nichts verschwinden.“
Ich klebte am Fenster. Sah hoch zum blauen Himmel mit den mächtigen, weißen Wolken.
„Wo ist dein Bruder gestorben?“
„In Innsbruck.“
„Ich habe zwei Theorien“, sagte Shane, richtete sich auf, fixierte sein Haarband und sagte: „Du willst zu deiner Ex-Mutter und mit ihr um die Wette flennen. Oder aber die gute Frau hat Kohle ohne Ende.“
„Angela hat nie Geld.“
„Eine Mutter hat immer Geld für ihr Kind.“
„Angela ist meine Stiefmutter.“
„Du bist also nicht böse, wenn ich sie bumse?“
Ich packte Shanes Kopf und drückte ihn nach vorne, riss ihn dann wieder ruckartig an den Haaren hoch. Ich drückte ihn wieder nach vorne und riss ihn wieder hoch.
„HILFE! HILFE!“ , brüllte Shane und ruderte mit den Armen, als könnte er sich nicht wehren. Die Schaffnerin, ein Model mit schwarzen Locken, kam sofort angewackelt, und ich ließ Shane los. „Was gibt es, meine Herren?“
„Könnten Sie den Herrn bitte des Zuges verweisen?“
„Aber warum denn?“
„Der Kerl trägt keine Unterwäsche.“
„Bitte?“
„Wir haben nen Psycho an Bord!“
„Ich verstehe nicht. Was ist das Problem?“
„ Er ist das Problem, Se ñ orita.“
„ Señorita? “
„Sind Sie nicht Mexikanerin?“
„Nein.“
„Kolumbianerin?“
„Nein.“
„Aber doch Brasilianerin!“
„Ich bin aus Greifswald“, sagte die
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