Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Man Down

Man Down

Titel: Man Down Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Pilz
Vom Netzwerk:
fantastisch aus.“
    Sie schüttelte verlegen den Kopf.
    „Dürfen wir heute bei dir übernachten?“, fragte ich, ehe Shane weitersülzen konnte.
    Angela zögerte für einen Augenblick. Dann sagte sie: „Selbstverständlich.“
    „Vielleicht gibt es eine Jugendherberge in der Stadt.“
    „Gibt es. Aber ihr könnt bleiben. Kein Problem. Ich muss nur um halb sieben raus.“
    Ich nahm das Glas, hob es, Shane und Angela taten dasselbe, wir prosteten uns zu, ich trank meines ex.
    „Mann“, sagte Shane und sah mich an. „Der Kerl hat ne Mutter, die hätten andere gerne als Liebhaberin.“
    Shane war völlig überdreht. Ich hatte ihn selten zuvor so erlebt, und wenn, dann nur, wenn er sich was Heftiges eingeschmissen hatte. Aber Shane blühte richtig auf, obwohl er sich den ganzen Tag über seine Kopfschmerzen beklagt hatte. Er riss ein paar Witze, die Angela und mich zum Lachen brachten. Irgendwann verschwand er aufs Klo und ich wusste nicht was reden. Er war der Entertainer heute.
    Angela lächelte. „Willst du mir nichts von dir erzählen, Kai?“
    „Was soll ich erzählen?“
    „Alles.“
    Ich zuckte mit den Schultern.
    „Was machst du? Was arbeitest du?“
    „Ich bin Dachdecker.“
    „Schön.“
    „Er ist leider vom Dach gefallen“, rief Shane aus dem WC , dessen Tür er nur angelehnt hatte. „Sechsmeterzwanzig!“
    „Ist das wahr?“
    Shane kam zurück aus dem Klo und stellte sich hinter mich. „Sehen Sie, wie der auf dem Stuhl sitzt? So sitzt kein normaler Mensch. Das wird nie wieder gut, sagen die Ärzte. Das bleibt so. Und dann haben sie ihm nicht mal den Lohn ausbezahlt. Die arme Sau hat vier Monate gratis gearbeitet, ist vom Dach gefallen, und jetzt ist er pleite. Der Mensch braucht dringend Kohle.“
    „Fuck, Shane“, sagte ich.
    „Die Dinge müssen auf den Tisch. Warum lügen? Warum um den heißen Brei reden?“
    Angela nahm einen Schluck.
    „Wir kommen nicht wegen Geld“, sagte ich.
    „Oh doch“, sagte Shane. „Wir kommen nur wegen Geld. Wir stecken nämlich in der Scheiße. Das heißt … er hier steckt in der Scheiße.“
    Angela atmete tief ein und aus. Sie wusste nicht wohin mit ihren Händen, also hob sie die Gabel und das Messer und legte sie dann wieder zurück an ihren Platz. „Habt ihr was ausgefressen?“
    „Wir wollen nur überleben“, sagte Shane und zuckte mit den Schultern.
    „Angela, vergiss, was der quatscht. Der ist immer noch zugedröhnt.“
    „Ich habe kein Geld“, sagte sie. „Ich verdiene grade mal so viel, dass ich mir das Leben hier leisten kann.“
    „Ich will auch kein Geld“, sagte ich.
    „Könnten Sie nicht um einen Kredit von der Bank bitten?“
    Angela schüttelte den Kopf. „Ich habe auf meinem Girokonto einen Überziehungsrahmen von 200 Euro. Und ich bin mit 600 oder 700 im Plus. Das reicht für die nächste Miete, für den Strom, für das Katzenfutter …“
    „Vergiss es, Angela“, sagte ich und stieß Shane heftig mit dem Ellbogen. „Ich würde niemals Geld von dir nehmen. Wie komme ich dazu?“
    Shane zuckte mit den Schultern und hob entschuldigend die Arme. „Ich sag ja schon nichts mehr“, sagte er und zündete sich eine Zigarette an.
    Shane und Angela tranken in einem Tempo, dem ich nicht folgen konnte. Ich versuchte in Angelas Gesicht die letzten zehn Jahre zu lesen. So gut sie aussah, so gut sie sich gehalten hatte – irgendwas fehlte. Irgendwas war verloren gegangen in all den Jahren. Und auf einmal wurde mir klar, was es war. Diese Frau hatte Gott verloren. Diese Frau weinte immer noch in der Nacht um ihren toten Sohn, ihr einziges Kind, die Albträume jagten sie immer noch aus dem Schlaf, sie lag stundenlang wach in endloser, quälender Stille, sie konnte zwar wieder lachen, aber es war nicht mehr dasselbe Lachen wie früher, denn es gab keinen Gott mehr, es war eine Welt ohne Glück. Das Leben – ein Flug durch ein dunkles, stummes Weltall, unendlich groß, unendlich weit, und niemand, niemand war da, nichts und niemand, nur sie, niemand sonst, keiner mehr da, sie konnte nicht leben, konnte nicht sterben, die Einsamkeit war für immer, die Einsamkeit endete nie, die Einsamkeit war das ewige Fegefeuer, aus dem es kein Entrinnen gab.
    Wie oft hat sie Gott angeschrien, angefleht, verflucht, aber da war kein Gott.
    „Ist alles okay, Kai?“
    „Ja“, sagte ich.
    „Ist es das erste Mal, dass du wieder in Innsbruck bist … ich meine, seit damals?“
    „Das erste Mal.“
    „Ich gehe bald zurück in die Staaten“, sagte

Weitere Kostenlose Bücher