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Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern

Titel: Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Pehnt
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steigt ein, wir fahren zu ihr.
    Ihr Gesicht war ihr wieder ähnlich. Nur die Nase war noch verstopft, ein dicker Klumpen zwischen den Augen. Der Bruder drängte sich hinter die Schwester, die sich noch kurz am Ärmel des Vaters festhielt, bevor sie zur Mutter trat, die sich im Bett halb aufgesetzt hatte.
    Wir – wir haben dir was gemalt. Aber das haben wir zu Hause vergessen. Und die Oma soll nicht immer Obstsalat machen, er schmeckt bitter, weil sie alte Apfelsinen reinmacht, und sie – sie riecht nicht gut, nicht so wie du, und die Schwester wagte sich nach vorn und legte ihren Kopf an die Mutter, die nicht so roch wie zu Hause, aber auch nicht schlecht, eigentlich nach nichts. Die Mutter könnte die Kinder umarmen, sie konnte ja schon wieder aufsitzen, aber es war, als hätte sie vergessen, wie es geht, sie saß nur da und lächelte ungeübt und sprach auch ein bisschen, aber was sie sagte, hatten die Kinder vergessen, schon als sie wieder zu Hause waren, und sie stritten sich darüber.
    Dann kamen die Sommerferien, sie fuhren nicht nach Schweden, aber der Vater versuchte, Ausflüge zu machen, die manchmal abgebrochen werden mussten, weil er etwas vergessen hatte, das Geld für den Zooeintritt, den Termin in der Klinik, Omas Geburtstag auch, der Tag ging vorüber, sie backte sich selbst einen Geburtstagskuchen mit Erdbeeren und hielt durch bis zum Abend, dann brach sie in Tränen aus, und die Kinder verstanden das. Geburtstage darf man niemals vergessen.
    Dann kam die Mutter nach Hause, und sie bastelten Papierschilder und Girlanden. Die Mutter freute sich, aber etwas in ihrem Gesicht war schief geblieben und lächelte nicht mit.
    Nach Schweden fahren sie nächstes Jahr.
    II

    Dieses Jahr wirklich, sie fahren wirklich nach Schweden, obwohl es anders ist, weil ein Jahr vergangen ist, sie sind ein Jahr älter, die Kinder, die Eltern und auch Schweden, ein Jahr älter. Sie wollen vielleicht nicht mehr so dringend nach Schweden wie letztes Jahr, aber jetzt geht es, die Gesichter sind wieder ungefähr so, wie sie sein sollen.
    Wenn die Kinder die Mutter fragen, ob wieder alles gut ist, sagt sie, ja, alles sei sehr gut, und sie glauben es ihr.
    Aber nicht so gut wie vorher.
    Ein Rest Schmerz sei da noch.
    Was heißt das? Tut dir noch was weh?
    Da sei etwas beschädigt.
    Wird das denn wieder heil, oder wie?
    Das fragt die Schwester, sie will es genau wissen, nicht nur, ob es wieder heilt, sondern auch, wann und wie.
    Ist doch egal, ruft der Bruder, das wird doch wieder gut, und er will sie wegziehen, aber sie stößt ihn zurück, dass er gegen die Mutter prallt.
    Müsst ihr hier herumbalgen.
    Eine unmerkliche Schiefe drückt den einen Mundwinkel ein wenig in die Höhe, den anderen etwas nach unten, aber es fällt nicht auf, man sieht es eigentlich gar nicht, nur sie sieht es, und die Mutter muss es sicher auch sehen, aber sie schaut nicht in den Spiegel, nicht wenn jemand dabei ist. Obwohl sie seit letztem Weihnachten einen ausklappbaren Spiegel haben, den man an einer Metallvorrichtung bis ganz dicht vor das Gesicht ziehen kann, bis man die Nasenlöcher sieht und die winzigen Vertiefungen, die die Windpocken zwischen den Augenbrauen hinterlassen haben, die Lippen, die nicht ganz dicht abschließen, sondern einen feinen Spalt offen stehen, und all die anderen Löcher, ein Gesicht besteht aus einer Ansammlung von Durchlöcherungen, die erst aus der Nähe richtig ins Auge fallen. Die Augenbrauen wildern hinunter auf die Augendeckel und fransen an den Enden in die Haare hinein, die weiße Stirnhaut ist gemustert mit feinen schwarzen Pünktchen, die man entfernen muss, dafür gibt es in der blauen Plastikdose der Mutter ein kleines Metallstäbchen mit Loch, das man genau über den schwarzen Punkt legen muss und dann drücken, bis ein winziger weißer Strang herausquillt wie ein Zuckerfädchen, die Mutter hat es ihr gezeigt, und es bleibt danach ein weiteres feines Loch in der Stirn, sichtbar nur im ausziehbaren Spiegel, den die Mutter nun nicht mehr benutzt.
    Sie trägt auch keinen Lippenstift mehr auf.
    Magst du keine roten Lippen mehr?
    Doch.
    Warum malst du sie dann nicht an?
    Ich kann die Lippen nicht mehr spitzen.
    Es stimmt, sie probieren es, sie bestehen darauf, dass die Mutter die Lippen zur Probe spitzt, und sie versucht es. Die Lippen zucken ein bisschen, die Oberlippe kräuselt sich, aber Spitzen kann das niemand nennen,

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