Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
uns nur einmal geschimpft oder ist laut geworden, selbst wenn wir mal aus Versehen etwas kaputt gemacht oder wir unser Limo verschüttet haben.
Außerdem roch es in ihrer Küche so wunderbar nach dem herrlichen Kirschstreuselkuchen, den sie immer machte. Der beste Kirschstreuselkuchen, den man sich überhaupt vorstellen kann: saftig, mit knusprigen, buttrigen Streuseln und Puderzucker obendrauf, und der Boden bestand aus lockerem Mürbteig, der nicht zu süß war. Nie wieder in meinem Leben habe ich besseren Kirschstreuselkuchen gegessen als bei der Rosa Königseder. Noch heute, wenn ich zu ihr sage: »Jetzt kimm i dann fei amal wieda, gell!« Dann antwortet sie: »Dann mach’ i wieder den Streuselkuacha, denst so gern mogst, gell, Mounigga!«
Bei Rosa entdeckte ich auch meine Liebe zum Spinat. Bei Rosa gab es oft Spinat, den sie selber in einem kleinen Gärtchen vor dem Küchenfenster anbaute. Meist mit Spiegeleiern oder Kartoffeln, aber ich habe ihn am liebsten pur gegessen. Neben Koni auf der Eckbank sitzend, meinen Arm hatte ich auf seinem Arm aufgestützt, saßen wir nebeneinander, und während er erzählte, mit was für einem Traktor er heut wieder bei meinem Vater fahren durfte, hab ich ihn jedes Mal voller Bewunderung angeschaut. Und er erzählte und lachte, und ich lachte und rutschte auf der Bank herum, während ich Spinat in mich hineinschaufelte – und plötzlich saß ich neben der Bank auf dem Boden, den vollen Spinatlöffel noch in der Hand. Ich hatte mich erst total erschrocken, die anderen ebenso, weil sie dachten, ich hätte mir wehgetan, aber als sie merkten, dass dem nicht so war, brach das Gelächter los. Ein Bild, das ich heute noch ganz deutlich vor mir sehe: Koni half mir wieder auf den Platz zurück, und ich habe weitergelöffelt und ihn weiter angehimmelt, bis meine Mutter irgendwann in der Küche stand: Sie wusste ja, wo sie mich im Zweifel finden konnte. Nur manchmal war es ihr – glaube ich – etwas peinlich, dass ich mich ständig bei anderen durchfraß, deshalb sagte sie manchmal: »Unser Zigeunerkind is’ halt immer auf der Achs’, die kann ned daheim bleiben!«
Aber auch der Koni und sein Bruder, der Sepp, waren viel bei uns. Nachmittags um zwei hörte man – bei uns stand die Haustür tagsüber offen – das Plumpsen von zwei Fahrrädern vor der Terrasse, was bedeutete, dass Koni und Sepp gleich nach dem Mittagessen und noch vor dem Erledigen der Hausaufgaben schauen wollten, wer heute mit welchem Traktor und Anhänger oder sonstigem Gerät fahren durfte. Und obwohl mein Vater versuchte, beide Buben gleich zu bedenken, kam es ab und zu Reibereien zwischen den beiden, die erst bei der Brotzeit in einem vorläufigen Waffenstillstand endeten. Mit vollem Mund stritt es sich auch ein bisschen schwer. Mein Vater kam kaum dazu, selber zu essen, weil er damit beschäftigt war, daumendicke Brotkeile abzuschneiden und diese ordentlich mit Kochsalami, Leberkäs oder Aufschnittwurst und mit saftigen, selbst eingelegten Gewürzgurken zu belegen. Als die zwei in die Pubertät kamen, brauchten wir zur Brotzeit einen ganzen Drei-Pfund-Laib Brot. Aber die beiden waren unermüdlich: Wenn sie sich nicht gerade darum stritten, wer mit was und vor allem ganz allein fahren durfte, dann wurde ich mit meinen zwei Jahren hin- und hergezogen »wie ein Katzl«, wie meine Mutter sagte. Oder wir fuhren alle zusammen sonntags ins Waldbad nach Taufkirchen oder machten einen Ausflug, wo wir am späten Nachmittag in eine Wirtschaft einkehrten und Würschtl mit Pommes bekamen und danach noch ein gemischtes Eis: drei Kugeln mit Sahne. Das waren immer die besten Tage, alles war unbeschwert und sorgenfrei, und der Sommer schien endlos zu sein. Manchmal wünschte ich, ich könnte die Zeit zurückdrehen und nochmals einen solchen Sonntag erleben.
Aber wir wurden älter, und der Koni kam auch nicht mehr ganz so oft zu uns, denn er hatte eine Lehre als Automechaniker begonnen, außerdem hatte er jetzt eine Freundin und – was keinem in unserem kleinen Ort verborgen geblieben war – ein Schlagzeug. Jeden Abend, wenn er von der Arbeit heimkam, wurde die Anlage aufgedreht, und er begann zu Van Halen oder Slayer auf das gute Stück einzudreschen. Ich fand, er machte sich ganz gut als »Phil Collins von Tittenkofen«, der Rest der Dorfgemeinschaft hätte mir – bis auf meine Brüder vielleicht – nicht zugestimmt. Kopfschüttelnd fuhren manche mit dem Radl am Königseder’schen Anwesen vorbei, wahrscheinlich, weil
Weitere Kostenlose Bücher