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Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Titel: Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Gruber
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Ein Bild wie aus einem Otto-Katalog.
    Und da war ich: leichenblass und als Einzige im roten Dirndl mit blauer Schürze, mit Haferlhaarschnitt (Topfschnitt) und einem orange-grasgrünen altmodischen Schweinslederschulranzen. Der Ranzen war noch vom Trollmann-Opa aus Tittenkofen handgefertigt (heute würde man ihn wahrscheinlich als »vintage must-have« für viel Geld über Sotheby’s ersteigern, aber damals war er das nackte Grauen in Signalfarben). Die blasse Hautfarbe habe ich übrigens von meinem Vater geerbt, dem meine Oma früher immer Lebertran verabreicht hatte, weil sie sich so geschämt hatte, dass die nach dem Zweiten Weltkrieg bei uns einquartierten Kinder ausgebombter Münchner Familien allesamt rote Backen hatten, während der Hoferbe wegen seiner gelblichen Gesichtsfarbe von vorbeiziehenden Hamsterern ebenfalls für ein armes, ausgehungertes Flüchtlingskind gehalten wurde. Und jedes Mal wenn einer dieser Hamsterer zu meiner Oma sagte: »Der arme Bub, da siegt ma gleich, der kommt aus der Stadt!«, dann wusste mein Vater, dass die nächste Ration übel stinkenden Lebertrans quasi schon auf dem Löffel war und seiner harrte. Und alles nur, weil da Bua so gschleckig, also heikel war! Das heißt: Daheim war er gschleckig, aber bei unserer Nachbarin, der Stimmer-Oma, da schaufelte er alles in sich rein, was auf den Tisch kam, denn da war ja auch sein bester Freund, der Kurbi, daheim. Und alles, was der Kurbi aß, musste ja schließlich gut sein. Die arme Stimmer-Oma jedoch, deren Mann im Krieg gefallen war und die sechs Kindern allein durchfüttern musste, verköstigte also auch Nummer sieben noch mit. Dafür half ihr mein Großvater auf dem Feld und bei der schweren Arbeit. Denn schließlich gibt es in Bayern ein Sprichwort: Eine Hand wäscht die andere. Und alle zwei Händ’ waschen das G’sicht! Aber ich schweife vom Thema ab …
    Da stand ich also an meinem ersten Schultag in der Aula des Gymnasiums Erding: schwitzend aufgrund meines zu engen Dirndls und wegen der bevorstehenden Ereignisse an der »höheren Schui«, die neuen Schuhe drückten, und der Schulranzen war mir bereits jetzt peinlich. Außerdem hatte ich ein bisschen Angst, denn als einzige meiner Klasse musste ich mich allein in die Höhle des Löwen, also ins Klassenzimmer, begeben, denn mein Vater hatte mich zwar zur Schule gefahren, aber er hatte sein Stallgewand an und meinte, als er mit seinem roten Fiat Panda vor der Schule hielt: »Findst eh alloa eini, oder?« Von da an war mir klar: In den entscheidenden Situationen des Lebens würde ich immer allein sein.
    Da ich noch dazu etwas spät dran war – eine Tradition, die in meiner Familie väterlicherseits seit Jahrzehnten liebevoll gepflegt wird –, waren nur noch wenige, ältere Kinder in der Aula, die ich damals als riesig, ja geradezu monströs empfand. Ebenfalls monströs erschien mir der große, schlanke, sehr strenge Mann, der mir mit lauter, energischer Stimme befahl, mich endlich in mein Klassenzimmer zu begeben. Ich antwortete etwas in der Art, dass ich doch noch gar nicht wisse, wo mein Klassenzimmer sei, und es entwickelte sich ein Wortwechsel, den ich mir nicht gemerkt habe, denn vor lauter Angst und Eingeschüchtertsein konnte ich gar nicht mehr richtig zuhören. Ich weiß nur noch, dass ich spürte, dass meine Knie in meinen gehäkelten weißen Kniestrümpfen weich wurden und mir pochende Röte ins Gesicht stieg und ich die Farbe meines Dirndls angenommen haben musste: Noch nie hatte ein so großer Mann so laut und so bös mit mir gesprochen. Und schon gar nicht auf Hochdeutsch!
    Wie sich später herausstellen sollte, war dieser Mann der Direktor dieser »höheren Schui«. Ich habe ihn später noch oft laut und bös erlebt, obwohl er nicht immer einen Grund dazu hatte. Aber ich vermute, dass der Grund seiner Boshaftigkeit vielleicht ja gar nicht der Ungehorsam seiner Schüler war, sondern die Tatsache, dass er seinen Beruf nicht mochte, ihn aber ausüben musste, weil es nach dem Krieg nichts anderes gab. Oder weil sein Vater schon Oberstudiendirektor war und er somit mehr oder weniger gezwungen war, die Familientradition fortzusetzen. Oder weil seine Mutter eine sehr pragmatische Frau war und auf einen Lehrerberuf pochte, weil einem doch als Beamter eine gute Pension sicher war. Außerdem, welchen Beruf hätte er in der kargen Nachkriegszeit schon ausüben sollen? Freilich, er hätte Pianist werden können, weil er sehr filigrane Hände hatte, aber wahrscheinlich war

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