Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Titel: Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Gruber
Vom Netzwerk:
meiner Mutter – mit dem Traktor zum Semmelholen fahren (»Mei, wenn er halt so gern mitfahrt, der Bua!«), weiterhin freiberuflich Hagelschäden für eine Nürnberger Versicherung schätzen, Inserate schreiben, und vielleicht noch nach Namibia reisen.

Die Mama, die Oma und Valentino
    Ein Film über meine Familie, speziell über meine Mutter, müsste damit anfangen, dass ein ganzer Kuchen zum Küchenfenster hinausfliegt und im Garten landet. Denn meine Mutter ist die perfekte Kuchen-, Torten- und überhaupt Alles-Bäckerin: Ihre Weihnachtsplätzchen sehen besser, aus als die aus der feinsten Konditorei und schmecken noch besser als sie aussehen. Ihre Schwarzwälder Kirschtorte als göttlich zu bezeichnen wäre nicht blasphemisch, sondern die reinste Wahrheit, und wer an ihren Kirchweihnudeln beziehungsweise ihrem Apfelstrudel irgendetwas auszusetzen hat, der hätte wahrscheinlich auch bei der jungen Sophia Loren irgendein Überbein gesucht.
    Aber eben weil meine Mutter so eine gute Köchin und noch bessere Bäckerin ist, ist sie sich selber gegenüber geradezu wahnwitzig kritisch: Wenn der Biskuitteig für den Erdbeerkuchen statt einer satten dottergelben Färbung nur ein Tickerl ins Ockergelbe lappt und damit – laut Mama – »staabtrucka« (staubtrocken) ist, herrscht in der Küche eine Stimmung wie kurz vor einem Unwetter mit Hagelwarnung. Und in beiden Fällen würde das Anzünden der typisch bayerischen schwarzen Wetterkerze nicht schaden, um größeres Unheil von der ganzen Familie abzuwenden.
    Scheint der Sandkuchen aus irgendeinem unerklärlichen Grund trotz Verwendung von glücklichen Eiern von noch glücklicheren Hühnern aus eigener Haltung nicht so hoch aufgehen zu wollen wie gewohnt und sollte auch ihr übliches gutes Zureden durch die Backofenscheibe daran nichts ändern (»So, Kuacherl, jetzt dua schee aufgeh’, gell, dann bist brav!«), werden sofort alle verwendeten Zutaten von ihr durchforstet, um die Ursache des fatalen Kuchenzustandes zu eruieren: »Meinst, dass as Fett zu kalt war? Oder die Eier zu frisch? Die Milch wird doch keinen Stich gehabt ham?«
    Wenn zum Beispiel der Kuchen zu lang im Rohr war, musste oftmals eines der Familienmitglieder (meistens ich!) als Sündenbock herhalten und wurde im Zuge der Ermittlungen einem Verhör unterzogen, das Guantan á mo-Experten für Waterboarding die Tränen des Stolzes und der Rührung in die Augen getrieben hätte. So in etwa:
    »Ja, du hättest auch amal nach dem Kuchen schaun können!«
    »Aber, Mama, i hob doch gar ned gewusst, dass du an Kuchen im Ofen hast!«
    »Des riecht ma doch!«
    »Aber ich war doch oben im Büro!«
    »Ja, da kann ma doch trotzdem schaun!«
    »Aber wenn ich’s doch ned gwusst hab?!«
    »Was is’n morgen für ein Tag?« (Vorsicht, Fangfrage!)
    »Mmmhhhh –Mittwoch?«
    »Nein, ich mein, was für ein Datum?«
    »Ähhhh, der 19. März, warum?«
    »Und was is’ am 19. März?«
    »Keine Ahnung, Frühlingsanfang?«
    »Schmarrn! Denk amal gscheid nach!«
    »Ich weiß es nicht, Mama …«
    »Du weißt es ganz genau: neunzeeeehnter März!«
    »Ahh, Josefi! Namenstag vom Babba!«
    »Und vom Seppi! Und was heißt das?«
    »Dass du … ähhhh … an Kuchen machst?«
    »Ja, und warum hast du nicht nach dem Kuchen geschaut?«
    »Es tut mir leid, Mama!«
    Ihr Ton lässt keinen Widerspruch zu. Deshalb schaue ich auch heute noch als Erstes, wenn ich auf den Hof meiner Eltern komme, durch die Backofenscheibe: Es könnte ja ein Kuchen im Rohr sein, an dessen Verhunzung ich auf keinen Fall schuld sein möchte!
    Wenn meine Mutter zum Beispiel Krapfen, Kirchweihnudeln, Hauberling, Auszog’ne (ein süßes, in Butterschmalz ausgebackenes Hefeteiggebäck mit Rosinen) oder Schmalznudeln (herzhafte, runde, in Butterschmalz ausgebackene Kücherl aus Roggenmehl) macht, sortiert sie das fertige Gebäck auf Blechen und Platten nach »schee« (schön) und »ned so schee« (weniger schön), wobei jeder Gault-Millau-Kritiker mit bloßem Auge keinen Unterschied erkennen würde. Das »scheene« Gebäck wird dann immer zum Verschenken benutzt (als Mitbringsel, wenn man eingeladen ist, oder für die Nachbarn, den Postboten, den Kaminkehrer, den Eisenwarenhändler, den Kaba-Mann, den Decken-Mann, den Herrn Pfarrer oder anderen zufällig hereinschauenden Besuch). Das »nicht so scheene« Gebäck jedoch ist für die Familie bestimmt. In panischer Angst, er könnte vom falschen Blech essen und dafür einen Anschiss von meiner Mama kassieren, fragt

Weitere Kostenlose Bücher