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Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Titel: Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Gruber
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Jackl hatte eine ganz andere Statur als sein Schwiegersohn. Er war relativ groß, so dürr wie ein Bleistift und hatte ein kleines Bärtchen auf der Oberlippe, die allerdings sehr eingefallen war. Ich war mir nie sicher, ob es daran lag, dass er einen so schmalen Kiefer hatte, oder ob er sein Gebiss nicht trug. Meistens trug er einen Hut, der immer so schräg auf seinem hageren Schädel balancierte, dass mir nie klar war, wie er eigentlich hielt. Jackl sah aus wie eine Mischung aus Karl Valentin und Catweazle. Und obwohl er so schmal wie ein Handtuch war und damals schon weit über siebzig gewesen sein durfte, hatte er mehr Kraft als ein ganzer Bus voller Gangsta-Rapper, was wahrscheinlich daran lag, dass der Jackl sein Leben lang ein äußerst fleißiger Mann war. Wenn er nicht bei sich daheim werkelte oder bei uns auf dem Hof die schweren Bündel aufs Förderband hievte, dann schwang er sich auf sein Moped, eine alte, taubenblaue Zündapp, und fuhr zu seiner Tochter, die circa zehn Kilometer weit entfernt wohnte, um dort auszuhelfen. Der Anblick des Jacke auf seiner alten Zündapp ist unvergesslich, denn er trug dabei immer einen blauen sogenannten Staabmantel (Staubmantel), also eine mittelblaue Arbeitsjacke im Mao-Stil, den er aber nie zuknöpfte. Wenn er also beim Ortsschild von Tittenkofen links in Richtung Reichenkirchen bog und Gas gab, dann konnte man die nächsten zwei Kilometer beobachten, wie die blaue Arbeitsjacke sich wie ein Segel aufblähte und von seiner hageren, leicht gebeugten Gestalt abstand.
    Der Jackl hatte eine Frau, die auch Liesi hieß, die aber alle nur »Strouma-Oma« oder »Lies« nannten, denn sonst wäre man ja mit Namens- beziehungsweise Personenverwechslungen in dieser Familie gar nicht mehr fertig geworden, zumal der Sohn von Max Junior, also der Enkel vom Jacke, wiederum Max hieß. Der Bayer setzt halt auf Tradition und Althergebrachtes. Die Strouma-Oma war im Gegensatz zu ihrem Mann relativ klein und mit einer gemütlichen Figur ausgestattet und (auch das im Gegensatz zu ihrem Mann) sehr religiös, deshalb war auch sie es, die bei den oben erwähnten Maiandachten immer die Fürbitten in der hauseigenen Kapelle vorlas.
    Der Jackel hatte es nicht so mit der Religion und der Beterei, und deshalb blieb er den Maiandachten immer fern, aber er ließ es sich nicht nehmen, die Besucher der Andacht, die im Wesentlichen aus den Dorfseniorinnen und uns Kindern bestand, zu begrüßen. Ich glaube, es bereitete ihm eine mordsmäßige Gaudi, uns Kinder ein bissl zu erschrecken, was nicht allzu schwer war, denn die Stroumas hatten zu der Zeit einen riesigen Rottweiler, der genauso viel Kraft zu haben schien wie der Jacke und vor allem unberechenbar war: An guten Tagen beschnüffelte er einen nur, und an anderen sprang er laut kläffend über den Jägerzaun des Stromer’schen Grundstücks und zwickte eines von uns Kindern ins Bein, wenn wir mit dem Radl vorbeifuhren. Eine bevorstehende Maiandacht löste bei mir deshalb immer schon eine leichte Panikattacke aus. Aber ich wusste, ich musste da durch, denn meine Eltern schickten immer uns Kinder, da sie selber nicht zur Andacht konnten, weil sie mit der Stallarbeit beschäftigt waren. Meine Brüder hatten weniger Respekt vor dem Rottweiler als vor dem Strouma-Opa, denn dieser nahm sich immer jeden einzeln vor, griff ihn beim Genick wie eine Katzenmutter ihr Junges und schüttelte ihn leicht, wobei er immer belustigt vor sich hin murmelte: »Oh, du böser Baure, oh du böser Heimer-Baure…!« Und dann grinste er sein kiefer- und zahnloses Lachen.
    Heimer, das war zwar unser Hofname, aber warum meine Brüder »böse Bauren«, also böse Bauern sein sollten, das wussten wir alle nicht so genau. Dennoch waren wir uns sicher, dass der Strouma-Opa nur Spaß machte, denn er war – wie sein Sohn auch – ein selten gutmütiger Mann , »a guader Mo«, was in Bayern das größte Kompliment ist. Und meine Brüder mussten dann auch immer lachen, wenn der Strouma-Opa sie beim »Genack« hielt und hin- und herschüttelte, wussten sie doch, dass sie mit etwas Glück – wenn sie nämlich schneller waren als die Stimmer- und die Huaba-Buam – gleich die kleine Glocke in der Kapelle läuten durften. Weil es nur eine kleine Glocke war, wurde man nicht vom Glockenstrang so hochgezogen, dass einem die Füße in der Luft baumelten, so wie bei der Glocke im Nachbarort Lohkirchen, aber trotzdem war für alle Buben bei uns im Dorf das Läuten der Glocke das Highlight

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