Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
geordnet, teils nach den umliegenden Ortschaften, teils auch nach den jeweiligen Familienclans, die manchmal seit Jahrhunderten feste Stammplätze haben, es sind gelegentlich sogar Plaketten mit den jeweiligen Familiennamen in den Sitzreihen. Einige Ausreißer gab es natürlich auch dort: Manch forsche Dame bestand auf einen Platz neben ihrem Gatten auf der rechten Seite des Kirchenschiffs. Aber das waren entweder Orts- und Sittenunkundige (also Zuazogne) oder Frauen, die selbstbewusst genug waren, diesen Platz für sich zu beanspruchen. Die jungen, in der Regel unverheirateten Frauen saßen oder sitzen auf der linken Seite allesamt ganz hinten, was ich immer praktisch fand, weil man so besser kollektiv über die neuen Wintermäntel, Sommerkleider oder Dirndl der vorbeiziehenden älteren Damen lästern konnte. Die jungen Burschen und auch die jung verheirateten Männer saßen und sitzen immer noch auf den zwei Etagen der Empore. Von dort aus hatten sie den besten Überblick über das anwesende Weibervolk, nämlich das ortseigene und an oben genannten Feiertagen auch über das ortsfremde. Wenn nämlich gerade an Allerheiligen und an den Weihnachtsfeiertagen junge Cousinen oder andere jüngere Verwandte der örtlichen Familien den Gottesdienst besuchten, dann merkte man das immer daran, dass sich die jungen interessierten Herren auf der Empore weit nach vorn beugten, und zwar so weit, dass sie ihm Vorbeugen die Gesangsbücher, die auf der Brüstung der Empore lagen, aus Versehen nach unten schubsten. Wenn also ein besonders attraktives unbekanntes weibliches Wesen das Kirchenschiff entlangging auf der Suche nach einem etwaigen Platz (Unbekannten war natürlich die gestrenge interne Sitzordnung fremd!), dann war plötzlich ein kollektives »Klock-klock-klock« der herabfallenden Gesangsbücher zu hören – quasi eine ganz eigene sakrale Buchfanfare zur Ankündigung holder neuer Weiblichkeit.
Eine ganz eigene Choreografie in der Liturgie gab es übrigens auch bei Gottesdiensten unseres damaligen Gemeindepfarrers. Bei ihm war am Altar oft richtig was los. Da kam Schwung in die Bude. Das mag salopp klingen, aber wenn dieser Pfarrer in Fahrt war, dann hatten die armen Ministranten (damals noch allesamt Burschen, Mädchen wurden damals nicht näher an den Altar gelassen, als es bei der ersten heiligen Kommunion oder bei der Hochzeit notwendig war) Mühe, mit seinem Tempo mitzuhalten: Nach dem Abtrocknen des Kelches übergab der Herr Pfarrer das nasse Tuch nicht wie üblich an den neben ihm stehenden Ministranten, sondern er warf das Ding mit Schmackes irgendwo neben sich, und die Ministranten versuchten vorher schon zu erahnen, wo die Reise hingehen könnte, und mussten oftmals in Olli-Kahn-Manier akrobatische Hechtsprünge vollbringen, damit das Tuch nicht zu Boden segelte, was natürlich unverzeihlich gewesen und bei den Familien der Ministranten für großen Spott gesorgt hätte. Und das wollte sich kein Ministrant nachsagen lassen. Außerdem mochten sie alle den Herrn Pfarrer sehr gern, denn er spielte oft mit ihnen Fußball, und er war im Allgemeinen ein empathischer und großzügiger Mann, was man weiß Gott nicht von allen Pfarrern sagen konnte.
Und wenn der Herr Pfarrer die Schale mit den Hostien wieder mit einer fast tangoartigen Bewegung – quasi aus der sakralen Hüfte heraus – abdeckte, zog er dabei geradezu groteske Grimassen, das heißt, er kräuselte theatralisch-konzentriert die Stirn und zog mit dem Mund eine Schnute, als ob er sagen wollte: »Och menno, schon vorbei? Darf ich ned noch ein bissl? Bittebittebitte!« Ich konnte immer kaum hinschauen, sonst wäre ich in Lachen ausgebrochen ob der Louis-de-Funès-Show-Einlage am Altar. Ich fand immer, dieser Pfarrer wäre auf jeder Bühne sehr unterhaltsam gewesen. Die Erzdiözese fand das wohl nicht, denn als man ihn schließlich in eine andere Gemeinde versetzte, machte das Gerücht die Runde, der Herr Pfarrer sei nicht nur immer sehr empathisch und temperamentvoll gewesen, sondern auch manisch-depressiv. Der Arme.
Der Jackl
Die Wiege der Emanzipation muss ein Bauernhof gewesen sein. Denn auf dem Land galt immer schon die unausgesprochene Regel: So schwer kann eine Arbeit gar nicht sein, dass sie nicht auch von einer Frau verrichtet werden kann. So war eine richtig gestandene Bäuerin nicht nur für Haus, Garten und die Erziehung der Kinder zuständig, sondern sie durfte auch, was die schwere Arbeit im Stall und auf dem Feld anbelangte, nicht
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