Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
Halbe Bier mit drei Obstlern hatte. Diese Informationen interessieren niemanden. Ebenso wenig interessiert sich die Landbevölkerung für Extravaganzen beim Essen:
Vegetarier kennt sie nur aus dem Fernsehen,
Allergien haben nur Weicheier, und
die Mehrheit der Menschen auf dem Land hält Laktoseunverträglichkeit für eine Erfindung der Pharmaindustrie oder der Grünen, um die konventionelle Landwirtschaft zu schädigen, den Milchpreis zu drücken und Medikamente zu verkaufen.
Eine Metzgersgattin, bei der ich gern einkaufe, wollte mir zum Beispiel einmal ein paar Rindersteaks für einen Kollegen, den sie sehr gern im Fernsehen sieht, mitgeben. Als ich ihr erklärte, dass ich die Steaks leider nicht annehmen könne, weil besagter Kollege Vegetarier sei und deshalb kein Fleisch esse, schüttelte sie ungläubig den Kopf, überlegte kurz, hielt mir dann eine Kochsalami unter die Nase und meinte: »Aber a Wurscht isst er scho?!«
Speisen Gegessen wird, was auf den Tisch kommt. Man isst immer auf. Und: Essen wird niemals weggeworfen. Klingt bedrohlich. Ist es auch, aber diese Regeln wurden in einer Zeit gemacht, als sogenannte Hamsterer (damit meinte man ausgebombte Familien aus München) aufs Land kamen, um die Bäuerin um ein Ei oder einen Löffel Schmalz, Butter oder eine andere fettähnliche Substanz zu bitten.
Reste, die vom Mittag- oder Abendessen übrig geblieben sind, zum Beispiel Knödel, werden kalt gegessen oder am nächsten Tag aufgeschnitten und mit einer Mischung aus Butter, Eiern und Speck zugepflastert und in der Pfanne zu »g’rösten Knödeln« verarbeitet und dann verputzt. Im Prinzip lässt sich fast jedes nicht mehr ganz taufrische Lebensmittel mit Fett, Zwiebeln, Speck und genügend Pfeffer in der Pfanne zu einer köstlichen Mahlzeit verwursteln: Nudeln, Kartoffeln, Leberkäs, Kochsalami, Braten, Brot oder gekochtes Gemüse. Ich habe es auch schon mal mit Fischstäbchen vom Vortag und Rosinensemmeln probiert, würde aber grundsätzlich eher davon abraten.
Sollte sich an Lebensmitteln Schimmel, Verfärbungen, grünlich-gelblicher Schleim oder Ähnliches befinden, werden diese Makel sofort mit dem Messer abgekratzt oder als dünne Schicht mit einem Löffel abgehoben, damit der verbliebene Rest selbstverständlich verzehrt werden kann. Ich kann mich an viele Marmeladengläser erinnern, bei denen die grüne Schimmelmatte von der Oma mit einem Kaffeelöffel dezent abgeschöpft und der verbliebene Rest als dicker Aufstrich für Streuselkuchen verwendet wurde. Gesundheitliche Bedenken sind der krisenerprobten älteren Generation eher fremd, frei nach dem Motto: »A Guter halts aus!« Mit dem Zusatz: »Und um an Schlechten is ned schad!«
Bei der Angabe eines Verfallsdatums auf einem Lebensmittel geht der Bayer auf dem Land davon aus, dass es sich hierbei lediglich um eine ungefähre Richtlinie, aber kein Dogma handelt: Im Gruber’schen Haushalt wurden Milchprodukte wie Joghurt oder Käse verzehrt, bei denen das Verfallsdatum teilweise über drei Monate abgelaufen war. Das Resultat: Die Familienmitglieder haben die Konstitution eines Ochsen und werden erfahrungsgemäß alle mindestens 87 Jahre alt.
Sollte man selber am Verfall von Lebensmitteln schuld sein, schämt man sich gehörig, weil man entweder zu viel gekauft oder aber zu wenig gegessen hat. Oder am besten geht man gleich zur Beichte wie unser Opa.
Ein echter Bayer – so grantig und nörgelig er auch sonst immer sein mag – meckert auch nicht ständig übers Essen, so wie es in letzter Zeit Mode geworden ist. Das ständige Lamentieren über das Essen in der Wirtschaft ist dem Bayern fremd, denn Essen gilt bei uns als schmack- und nahrhaft, wenn folgende Gegebenheiten zutreffen:
♦ Es ist heiß.
♦ Die Portion ist riesig.
♦ Der Hauptteil der Mahlzeit besteht aus Fleisch.
♦ Es ist genügend Soße drauf.
Ob bei dieser Mahlzeit frische Kräuter oder Gewürze verwendet wurden und ob man die fetten Kroketten nicht durch leichter verdauliche Salzkartoffeln hätte ersetzen können, ist dabei völlig unerheblich. Lediglich jüngere Frauen, die auf ihre Figur und den gesunden Nährwert ihres Essens achten, werden so etwas bemäkeln.
Es versteht sich von selbst, dass auch riesigste Portionen aufgegessen werden, denn der Bayer isst in der Wirtschaft nach dem Motto: »Lieber an Magen ausg’renkt, als am Wirt was g’schenkt!« Von der Pflicht des Aufessens befreit sind lediglich Kleinkinder und sehr alte Menschen, die sich in der Regel
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