Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
für ihren hochbegabten Ableger ausgesucht hatten.
Irgendwie hatten manche Leute am Sonntag mehr Zeit und Muße als unter der Woche, um sich irgendwelche Sonderwünsche zu überlegen, mit denen sie uns Bedienungen traktieren konnten. Schließlich ist der Gast ja König. Wenn schon nicht daheim, dann wenigstens in der Wirtschaft:
Dem Vati ist sein Bier zu kalt? – »Kein Problem, der Herr, ich wärm’s Ihnen an!« Obwohl du dir in dem Moment natürlich denkst: »Dann sauf halt an Kaffee, wenn dir ’s Bier zu kalt is’, du Waschlappen!« Ein warmes Bier?! Dazu noch Vierzig-Grad-Fieber-heiße Schleimsuppe garniert mit einem Schweineschmalzbrustwickel und Thrombosestrümpfen, das Ganze serviert auf einem lauwarmen Kirschkernkissenbett und als Digestif eine lauwarme Latte (macchiato) mit Honig. Herrlich! Dagegen ist jede Party bei Elton John ein fader Seniorennachmittag.
Ein Gläschen Babynahrung in der Mikrowelle aufwärmen? – »Immer gern, gnä’ Frau, dann haben Sie daheim keine Arbeit, gell, weil zum Haarewaschen san Sie offensichtlich auch schon seit Wochen nimmer gekommen, was?«
Eine kleine Apfelsaftschorle mit wenig Apfelsaft, aber viel Leitungswasser? – »Ein kleines gepantschtes Apfel-Wassi – das ist doch meine Lieblingsübung. Ich sag immer: Ich kann kein stilles Wasser trinken, weil ›still‹ bin i ja selber, gell!«
Ein Achtel Ente, dazu ein halber Knödel, aber extra viel Soße? – »Selbstverständlich, aber kosten darf’s schon was? Kleiner Spaß, der Herr! Ich sag immer: Nur der Not keinen Schwung lassen, die dreifuffzig sollen hin sein!«
Was, Ihr Kind beschwert sich, weil die Spätzle so nach Eiern schmecken? – »Ah, da frag ich gleich in der Küche nach, wie das hat passieren können: hausgemachte Spätzle, die nach Eiern schmecken! Da schau ich gleich nach, vielleicht hamma irgendwo noch einen alten Fertigknödel?«
Ein gemischter Salat, aber ohne Tomaten, Gurken und Paprika? – »Aber Salat dürf’ ma schon reintun … in den Salat, Herr Doktor, gell? Na, Gaudi muss sein!«
Ein Wassi fürs Hundi? – »Angewärmt – freilich, wie’s Bierli fürs Herrli, das machen wir sehr, sehr gern!«
Und die Dame hätte gern was? Aha, eine kleine Portion Kaiserschmarrn auf zwei Tellern, einmal ohne Rosinen? – »Des geht sicher, kein Problem, ich sag sofort unserem Koch Bescheid, gell!«
Ja, freilich sagte ich ihm Bescheid. Was blieb mir denn anderes übrig? Also näherte ich mich unserem Koch, dem Hans, ganz vorsichtig und sagte mit meiner sanftesten Nicht-Günter-Stimme zu ihm: »Duhuu, Hahans, ähhhm … tätst du mir einen Gefallen?«
Da der Hans sowohl mich als auch das Sonntagmittagspublikum lange genug kannte, schaute er mich mit prüfendem Blick unter seiner dunklen Lockenpracht hervor an und meinte süffisant: »Was gaaberts?«
Dann schoss es aus mir heraus wie Wasser, das sich in einem prall gefüllten Gartenschlauch aufgestaut hatte: »Du glaubst es nicht, Hans, an Tisch sechs hockt so eine depperte Wachtel, die will allen Ernstes, dass ich aus einer Portion Kaiserschmarrn, die bei uns eh bloß vier fuffzig kostet, eine kleine Portion mach’, aber auf zwei Tellern. Und einmal ohne Rosinen! Ich weiß … sag nix: für drei Euro ein Dessert für zwei Personen, für das du zwei verschiedene Pfandl brauchst und bei dem nach Abzug von allem zehn Cent verdient san, so was darf man eigentlich nicht annehmen. Aber bitte sag’ jetzt, dass du mich nicht hasst, weil ich deine Lieblingsbedienung bin?!«
Gott sei Dank war der Hans sowohl ein gutmütiger Zeitgenosse als auch ein leidenschaftlicher Koch, und er hatte genauso gern zufriedene Gäste wie ich, denn ich bin sicher, bei den meisten anderen Küchenchefs hätte ich mich für so eine hirnrissige, unverschämte Bestellung ducken müssen, um der tief fliegenden Pfanne auszuweichen.
Wenn allerdings Stammgäste oder Freunde des Hauses mit obskuren Sonderbestellungen daherkamen, erlaubte sich der Wirt, Heinz, immer seinen beliebten Satz: »Mach ma alles, kein Problem! Derfs sonst noch was sein: Espresso, Ramazotti, Obstler oder a Trumm Watschn?«
Worüber meine damalige Chefin Andy und ich immer sehr schmunzeln mussten, ist die Tatsache, dass es manchen Leuten, vor allem den älteren Herren, gerade am Sonntag offensichtlich am meisten pressiert. Sonntag, der Tag, wo eigentlich alle Zeit haben müssten und es doch genießen könnten, dass sie gemütlich im Restaurant sitzen dürfen und sich bedienen lassen können. Ohne
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