Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
Training oder ein spezielles Steroid-Weißbier-Doping schuld war, aber diese Kerle waren fast alle von so mächtiger Statur, dass es jedes Mal dunkel wurde, wenn sie unser gemütliches Etablissement betraten und unter lauten »Hey, here we are again, sweetheart«-Rufen die Theke bevölkerten. Allen voran ein riesiger italo-kanadischer Hüne names Giuseppe »Joe« Busillo, der aussah, als wäre er einer amerikanischen Mini-Serie über Hannibal entsprungen, und der mich immer leicht amüsiert durch sein Vollbartgestrüpp angrinste, während ich die ersten Humpen zapfte, und mit brummigem Bass meinte: »Still looking gorgeous!« Ich ging meistens gleich unter dem Vorwand, noch ein paar Limetten für die zu erwartenden Dutzenden Cuba libres holen zu müssen, in die Kühlung, denn sonst hätte jeder – selbst bei unserem sehr schummrigen Kneipenlicht – gesehen, dass ich genauso rot im Gesicht wurde wie die Plastikverkleidung unserer Kaffeemaschine. Nicht nur Bierzapfen, sondern auch Flirten will gelernt sein. Und während ich in der Bierkühlung etwas durchschnaufte und mich auf einen sehr langen Abend einstellte, steppte am Tresen schon der Bär: Einige Spieler hatten die Musikanlage gekapert und suchten nach Songs von Motörhead und Lou Reed, während die anderen zwischen diversen Kurzen dabei waren, sich mit den Dekoartikeln an der Wand – Säbeln und Helmen im Kaiser-Wilhelm-Stil – zu schmücken, sodass sie nach zehn Minuten aussahen wie von Heimatpflegern eingekleidete Gladiatoren, die noch schnell einen hinter die Binde kippen, bevor sie gleich in der Arena den Tigern mit bloßen Händen die Knochen brechen würden. Alles in allem also: eine gepflegte, stimmungsvolle kleine Runde, die sich um den Tresen scharte.
Dieser Teil der Kneipe war aber auch der gemütlichste mit seiner rechtwinkligen Theke, an deren Ende ein kleines Bänkchen war, auf dem gerade mal zwei Personen (oder ein halber italo-kanadischer Eishockeyspieler) Platz hatten. Seit sich einmal ein verliebtes Pärchen vor den verdutzten Augen der Stammgäste dort verlobt hatte, nannten wir diesen Sitzplatz nur noch »das Verlobungsbankerl«.
Mit seinen verwinkelten Ecken, den abgeschabten Tischen, die über ein bis zwei Treppchen zu erreichen waren, mit der dunklen Holzverkleidung und der spärlichen indirekten Beleuchtung strahlte der Raum die Gemütlichkeit einer Tiroler Skihütte aus, sodass die Nächte selbst an einem ganz gewöhnlichen Montag oft länger waren, als die Polizei es erlaubte. Dem Wirt, der von allen nur Börnie oder Fuchsi gerufen wurde, machte das nie etwas aus: Wie die meisten Menschen in der Gastronomie war er ein Nachtmensch, und obwohl er aussah wie ein XXL -Popeye, der morgens zur Dornkaat-Schorle kleine Kinder frühstückt, war er ein grundgutmütiger Kerl: Er war für jede noch so alberne Gaudi zu haben und hatte nie das Herz, einer guten Party den Stecker zu ziehen. Und er liebte es, mich und die Gäste zu verarschen. Er erzählte zum Beispiel einmal einer kompletten Lufthansa-Crew, die zum ersten Mal im »Bierdeife« zu Gast war, dass ich früher mal ein Mann gewesen sei und vor meiner Geschlechtsumwandlung Günter geheißen habe. Als ich die Fassungslosigkeit in den stark geschminkten Gesichtern der gepflegten Stewardessen sah, musste ich mich hinter der Kaffeemaschine verstecken, um nicht laut loszulachen und Börnie somit auffliegen zu lassen. Zum Beweis, dass er keinen Schmarrn erzählte, rief er mir in bester Laune über den Tresen hinweg zu: »Du, Günter, bist so nett, und machst mir an Capu?«
Als ich mit etwas dunklerem Timbre als sonst antwortete: »Logisch, koa Problem!«, nickte der Börnie dem verdutzten Piloten und seiner Crew verschwörerisch zu und sagte nur: »Wenn ma genau hinschaut, dann sieht ma’s ja:
des lange Gstell, die große Nas’n, an der Stimm’ merkt ma’s bsonders. Aber den Busen ham’s schon gut hinkriegt, nur untenrum steht halt noch die OP an.«
Während ich die Milch für den Cappuccino aufschäumte, konnte ich spüren, dass die Lufthansler versuchten, mich nicht anzustarren, es aber natürlich trotzdem taten.
Börnie freute sich wie ein Kind an Weihnachten über seinen Coup und flüsterte den Gästen zu: »Aber bitte erzählen’s des nicht rum in Erding, weil des wissen nur ganz wenige Leut, und mir san halt doch a Kleinstadt, wo viel geredt wird!«
Daraufhin wieder verständnisvolles Nicken und Murmeln der ganzen Flugcrew, die mir am Ende des Abends ein extrem gutes
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