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Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)

Titel: Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Gruber
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Stress, ohne Hektik. Von wegen! Das geht vielleicht in Italien oder Spanien, aber bei uns: Da hat die Mama den letzten Bissen von ihrem Schweinsbraten noch nicht hinuntergewürgt, da winkt der Papa schon mit dem Geldbeutel der Bedienung und plärrt durch das ganze Lokal: »Fräulein, zahlen!«
    Ich pflegte immer zu sagen: »Pressiert’s Ihnen? Müssen’s zum Flieger?«
    Kurzes Zögern, ein ungläubiger Blick, dann: »Äh … nein, warum?«
    »Ja, warum ham’s es dann so eilig? Ihre Kanapée-Nordwand steht auch in einer Stund noch da. Wie wär’s noch mit einem Dessert, einem Espresso oder Digestif?«
    »Was?«
    »Dessert oder Espresso?«
    »Na.«
    »Dann vielleicht ein Digestif?«
    »Na, des brauch’ ma ned, aber ein Schnaps wär’ ned schlecht.«
    Ich sag’s ja: Ein bissl was geht immer.
    Nach insgesamt vierzehn Jahren Kellnerei finde ich ja, dass es ein Unterrichtsfach »Umgangsformen und Tischmanieren« geben sollte: Wenn man sich allein anschaut, wie manche Leute ihr Besteck halten beziehungsweise damit durch die Gegend fuchteln, dann überlegt man sich als Bedienung zweimal, ob man diesen Freizeitsamurais überhaupt ein Steakmesser bringen darf, weil man Angst haben muss, dass sie sich damit diverse Körperteile amputieren. Bei vielen Männern würde sich auch anbieten, Hinweisschilder für den Gebrauch der bereitliegenden Servietten aufzustellen oder selbige gleich mit folgendem Spruch bedrucken zu lassen:
    »Keine Deko, bitte Pfoten und das Goscherl damit abwischen! Das unappetitliche Hineinschneuzen wird mit Lokalverbot und einem Extra-Trinkgeld für die Bedienung geahndet. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Wirt oder HNO -Arzt!«
    Aber Hauptsache, es sind genügend Zahnstocher am Tisch. Es ist doch immer ein erbaulicher Anblick, wenn drei erwachsene Männer in ihren Gebissleisten herumstochern und dabei Geräusche von sich geben, als würden sie gerade Giftschlangen verscheuchen.
    Wobei ich fairerweise sagen muss, dass der Großteil der Gäste immer ausgesprochen liebenswert und unkompliziert war, frei nach Heinz’ Motto: »A paar Deppen hast halt immer!«
    Gerade zu den Stammgästen, die fast jede Woche kamen, hatte ich schon fast ein familiäres Verhältnis, denn ich bekam ja alles mit: Schwangerschaften, Geburten, Taufen, runde Geburtstage, Umzüge, Urlaube, Haftstrafen, Diäten, Autounfälle, Erbschaftsstreitigkeiten, Krankheiten, Allergien und Todesfälle, also im Prinzip: alles bis auf die Empfängnis. Ich wusste, dass die Söhne auf Computerspiele und auf den neu angeschafften Pizzaofen der Familie standen, dass die Mama gern Leopardenmuster und Cabrios mochte, während der Papa sonntags immer Sakko trug und erst ein leichtes Weißbier bestellte (»fürn Durscht!«), um danach auf dunkles Bier umzuschwenken.
    Und wenn der Sohnemann nach seinem Schnitzel mit Bratkartoffeln auf die Dessertkarte schielte, dann wusste ich in dem Moment, was er bestellen würde: einen Kaiserschmarrn ohne Rosinen, und für die Mama gab es immer einen Latte macchiato. Eigentlich gab es bei uns gar keinen Latte, sondern nur Cappuccino und Espresso, aber bei solch treuen Gästen musste der Wirt, der von solchem »neumodischem Schmarrn« wenig hielt, eine Ausnahme machen. Und er machte sie gern und servierte deshalb der Reisinger Jutta ab sofort immer ihren geliebten Latte in einem extra für sie gekauften Glas. Wenn solche Gäste mal ein oder zwei Wochen ausblieben, dann fragte selbst Hans in der Küche schon: »Waren Reisingers heid no gar ned da?« Denn man wusste ja, dass sie nicht im Urlaub sein konnten, der Italientrip war ja erst für Juli geplant. Und wenn man sie länger als drei Wochen nicht zu Gesicht bekommen hätte, dann hätte wohl die gesamte Belegschaft des Alten Wirts besorgt bei Reisingers angerufen, um zu fragen: »Hat irgendwas ned passt beim letzten Mal? Oder is’ was mit der Oma?«
    Die Familien aus dem Ort kamen unterm Jahr nicht so häufig, sondern meist nur bei größeren Familienfeiern, waren dann aber immer mindestens zu zehnt, bestellten reichlich und waren vollkommen unkomplizierte und sehr angenehme Gäste. Sie arbeiteten selber hart und wären nie auf die Idee gekommen, jemanden wie mich zu schikanieren. Wenn ich in der Hitze des Gefechts mal ein Getränk vergaß oder wenn mir etwas Soße aufs Tischtuch tropfte, dann hieß es nur: »Wenn’s nix Schlimmeres gaabert!« Sie freuten sich, dass sie sich bedienen lassen konnten, dass das Essen gut war und dass Andy und Heinz

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