Man tut, was man kann (German Edition)
Trockenen lag, reicht mein Blutzucker immer noch aus, um mehrere Diabetiker ins Grab zu bringen. Ich beschließe, noch rasch zu duschen, bevor mich meine Hyperglykämie aller Voraussicht nach erblinden lässt. Nach der Dusche geht es mir spontan besser, ich mache mir sogar zarte Hoffnungen, mittel- bis langfristig wieder sprechen zu können.
Schreiben kann ich jedenfalls noch nicht, denn gerade werfe ich den fünften Brief an Kathrin in den Mülleimer. Mal ist mir der Ton zu persönlich, dann wieder nicht persönlich genug. Jetzt vergegenwärtige ich mir, was ich bereits geschrieben habe, und versuche, die besten Formulierungen in eine überzeugende Fassung zu bringen. «Guten Morgen! Ich wünsche dir einen wunderschönen Tag und danke dir für den schönen Abend …»
Hört sich irgendwie nicht nach einer federleichten Liebeserklärung an, sondern eher wie eine uninspirierte Passage aus dem Pfarrgemeindebrief. Ich knülle das Papier zusammen und werfe es weg. Dann nehme ich ein neues Blatt und schreibe darauf: «Ich wäre sehr gerne bei dir geblieben.» Den Zettel lege ich auf den Nachttisch, beschwere ihn mit einer Rose und stelle einen Saft daneben, den ich eben frisch gepresst habe, obwohl mir das Geräusch des Entsafters fast den Schädel gespalten hätte. Dann mache ich mich auf den Weg ins Büro.
Auf dem Parkplatz treffe ich Frau Hoffmann, die erstaunt darüber ist, mich aus meinem Wagen steigen zu sehen.
«Haben Sie den Führerschein etwa schon zurückbekommen?»
«Noch nicht», erwidere ich unbehaglich, «aber es sieht ganz gut aus.»
Sie wirft mir einen tadelnden Blick zu, und ich nehme mir vor, von jetzt ab daran zu denken, dass ich nicht im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis bin. Ich finde aber meinen Fauxpas heute Morgen entschuldbar, weil der Restalkohol mir zu schaffen macht und ich deswegen auch nicht an alles denken kann.
Als ich mich an den Schreibtisch setze, sackt mein Kreislauf derart ab, dass ich in den folgenden acht Stunden von einem Komapatienten nicht zu unterscheiden bin. Danach beschließe ich, den Tag mit einem langen Spaziergang mit Fred ausklingen zu lassen. Für die Fahrt zum Tierheim nehme ich versehentlich erneut meinen Wagen.
Fred geht es immer noch sehr schlecht, ich habe sogar die Befürchtung, dass es ihm schlechter als gestern geht. Ein Spaziergang kommt jedenfalls definitiv nicht in Frage.
«Drehen Sie doch eine Runde mit Spike. Der freut sich», schlägt eine sehr hübsche, aber stark lispelnde Mitarbeiterin vor, die mich an Freds Zwinger stehen sieht. Ich bin zwar nicht begeistert, brauche aber dringend etwas Bewegung, also nicke ich.
Spike ist ein freundlicher Staffordshire-Bullterrier, der ausgelassen an der langen Leine tobt und sich dabei so richtig zum Affen macht. Als er mir ein Stöckchen vor die Füße legt und seinen Kopf an meinem Bein reibt, um mir zu bedeuten, ich möge es werfen, ist mir klar, dass Spike und ich niemals Freunde werden. Fred würde nie im Leben ein Stöckchen anschleppen, geschweige denn es holen, wenn ich es geworfen hätte. Bälle und Knuddeltiere ignoriert er ebenfalls, Apportieren scheint ihm insgesamt ein völlig indiskutabler Zeitvertreib. Wenn ich mir Spike so ansehe, der hechelnd und sabbernd vor mir steht, erwartungsvoll dreinblickt und mich an einen Dorftrottel erinnert, dann ahne ich, warum Freds komplette Verweigerungshaltung mir irgendwie sympathisch ist.
Wieder daheim, stelle ich zwei Dinge fest. Zum einen muss ich mir irgendeine Notiz an den Schlüsselbund machen, wenn ich es vermeiden möchte, zum Gerichtstermin versehentlich mit dem eigenen Auto zu erscheinen. Zum anderen hat Kathrin mir keine Nachricht hinterlassen, was mich ein wenig enttäuscht. Das Glas Saft ist halb geleert, der Zettel und die Rose liegen noch an ihrem Platz. Wahrscheinlich war sie in Eile, denke ich, überlege dann, ob ich sie anrufen soll. Eigentlich könnten wir ja essen gehen.
Kathrin kommt mir zuvor, indem sie mir eine SMS schickt: «Würde gerne mit dir reden. Hast du Zeit? Heute Abend?»
Ich freue mich. Ich weiß zwar noch nicht abschließend, ob ich für eine Beziehung mit Kathrin bereit bin, aber wahrscheinlich hat sie recht, und es ist an der Zeit, dass wir uns über die nähere Zukunft unterhalten sollten. Jedenfalls scheint es in ihr ja mächtig zu arbeiten, wenn sie eine solche SMS schreibt. Mal sehen, ob ich sie beziehungstechnisch etwas bremsen muss. Wir wollen ja auch nichts überstürzen.
Ich lasse mir einen romantischen
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