Man tut, was man kann (German Edition)
Gebäude weit und breit. Ich überlege, was ich tun soll. Soll ich weitergehen? Soll ich mich umdrehen? Soll ich vielleicht einfach hier eine Weile stehen bleiben und warten, was passiert? Langsam drehe ich mich um.
Iris hat das Tor geöffnet.
LANGE GESCHICHTE
Ich habe eben mit Iris geschlafen. Zum ersten und zum letzten Mal.
Sie ist jetzt bereits auf dem Weg zu ihrer Familie, um sich auf den morgigen Tag vorzubereiten, denn dann wird sie vor irgendeinen Altar treten und irgendeinem anderen Mann das Jawort geben. Im Prinzip ist also alles so wie abgesprochen.
Ich sitze auf einer Bank im Stadtpark, während Fred sich in den Rabatten herumtreibt, und verstehe jetzt, warum ich gestern nicht mit Iris schlafen wollte. Ich habe schlicht versucht, dem Katzenjammer aus dem Weg zu gehen. Ich habe geahnt, ich würde mich danach so fühlen, wie ich mich eben jetzt fühle. Ziemlich desolat nämlich.
Ich hatte mich vor unserem Abendessen gefragt, wie es wohl wäre, mit ihr zu schlafen, eher hypothetisch, denn ich war davon ausgegangen, es würde sowieso nie dazu kommen. Vielleicht bildete ich mir gestern ein, ich könnte die Situation kontrollieren, ich könnte irgendwie verhindern, dass mein Leben von Iris auf den Kopf gestellt würde. Ein Irrtum, denn genau das ist jetzt passiert. Iris hat mich schwer erwischt. Ich spüre immer noch ihre Locken auf meinen Wangen, schmecke noch ihre Haut und ihre Lippen, bin immer noch besoffen von ihren Augen. Kurzum, ich bin ihr verfallen wie Ahab dem weißen Wal.
«Dann musst du eben diese Hollywoodnummer hinlegen. Bei der Hochzeit aufkreuzen, ihr sagen, dass du sie liebst, und darauf hoffen, dass sie dich nicht von ihren Verwandten auf der Stelle aufknüpfen lässt», schlägt Schamski vor, der immer noch in meinem Bademantel in der Küche herumlungert und seinen geplanten Spaziergang auf unbestimmte Zeit verschoben hat.
«Das ist der Punkt», entgegne ich. «Soweit ich weiß, will sie den anderen heiraten. Sie hat zumindest mit keinem Wort erwähnt, dass es ihr ganz recht wäre, wenn ich die Hochzeit einfach sprengen und sie in einem Linienbus entführen würde.»
Bronko, der nebenbei ein paar Schnittchen fürs Abendbrot vorbereitet und bislang geschwiegen hat, horcht auf. «Warte mal, Linienbus, das ist doch … Wie heißt denn der Film noch gleich?»
«‹Die Reifeprüfung›», sagen Schamski und ich fast im gleichen Moment, nehmen Bronkos Nicken und seine Replik «Genau, ‹Die Reifeprüfung›» aber nicht weiter zur Kenntnis.
«Denk immer dran», fährt Schamski fort, «dass Frauen das Gegenteil von dem sagen, was sie meinen.»
«Ach, das heißt also, Maike will dich eigentlich heiraten, und deshalb hat sie dich heute Morgen verlassen, oder wie?»
Schamski überlegt, sieht dann auf die Uhr und hält es offenbar für spät genug, mit dem Trinken anzufangen, denn er zieht nun einen Wein aus dem Regal und beginnt, ihn zu entkorken. «Ja, in gewisser Weise ist das richtig. Allerdings kannst du nicht grundsätzlich alles umkehren, was eine Frau sagt. Es gibt auch Dinge, die meint sie so, wie sie sie formuliert.»
«Was bist du doch für ein weiser Mann, Guido», spotte ich. «Manchmal meinen Frauen also, was sie sagen, und manchmal nicht. Das muss ich mir sofort aufschreiben. Vielen Dank dafür, großer Meister.»
«Auch ’n Wein?», fragt Schamski und ignoriert sämtliche meiner Spitzen.
Ich nicke, Bronko stellt derweil die Schnittchen auf den Tisch und nimmt die Schürze ab. Jetzt erst sehe ich, dass er Ausgehkleidung trägt.
«Ein Rendezvous?», frage ich.
Bronko schüttelt den Kopf. «Eine Bekanntschaft aus dem Internet. Ich weiß nicht, was draus wird. Wir haben uns ein paarmal geschrieben und dann halt verabredet. Mehr nicht.»
Wie zur Bestätigung klingelt es in diesem Moment an der Tür.
«Ich geh schon», sage ich schnell, weil ich mir Bronkos Eroberung dann doch wenigstens ansehen möchte. «Guten Abend, ich …» Ich stocke.
Vor mir steht Jutta Raakers, die offenbar an der Homosexualität ihres Mannes immer weniger Zweifel hegt.
«Oh, ich wusste nicht, dass Sie hier …» Sie lächelt unsicher.
«Kein Problem», erwidere ich und trete zur Seite, um sie hereinzubitten.
«Ich wollte eigentlich gar nicht …», druckst sie herum. «Ist Bronko denn noch nicht fertig?»
Ich verstehe. «Doch, ich glaube schon», sage ich. «Ich schau mal nach ihm. Ich wünsch Ihnen beiden jedenfalls schon mal einen schönen Abend.»
Sie lächelt, nickt freundlich.
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