Man tut, was man kann (German Edition)
Ersatzkanister ist nur leider leer. Einem spontanen Impuls folgend, will ich Schamski anrufen, um ihn wüst zu beschimpfen, muss aber feststellen, dass ich außerdem kein Netz habe. Das schließt nun also auch einen Anruf bei professionellen Pannenhelfern aus. Meine einzige Chance, noch pünktlich zur Hochzeit zu kommen, besteht jetzt darin, von einem anderen Verkehrsteilnehmer mitgenommen zu werden. Dummerweise ist mir in der letzten Stunde kein anderer Verkehrsteilnehmer begegnet. Ich erinnere mich zwar, um ein Haar einen Fuchs überfahren zu haben, ein menschliches Wesen hat meinen Weg jedoch nicht gekreuzt.
Vielleicht habe ich Glück, und hinter der nächsten Kurve ist eine Tankstelle. Ich gehe zügig die Straße entlang, derweil ich zu errechnen versuche, wie viel Zeitverlust ich mir erlauben kann. Ich komme auf irgendwas zwischen fünf und zehn Minuten, was nicht gerade ermutigend ist.
Hinter der nächsten Kurve ist keine Tankstelle, aber man kann von hier aus fast bis zum Horizont blicken und sich davon überzeugen, dass es auch bis dahin keine Tankstelle gibt. Zu meiner Rechten ist eine Anhöhe, eigentlich ist es sogar ein kleiner Berg. Von dort oben müsste man einen guten Rundumblick haben. Fluchend kraxle ich auf den Gipfel. Ein Hoffnungsschimmer, in der Ferne ist ein Dorf zu sehen. Wenn ich den Weg über die Wiesen und Felder nehme, kann ich es in zehn Minuten dorthin schaffen. Vielleicht ist es dann zu spät, um Iris’ Hochzeit zu vereiteln, vielleicht schaffe ich es aber auch noch gerade, außerdem habe ich momentan sowieso keine Wahl. Ich stapfe also los, höre im gleichen Moment ein Motorengeräusch und wende mich wieder der Straße zu. Ein Lkw biegt um die Ecke und passiert zügig den Porsche. Jetzt sehe ich, dass es sich um einen Tanklastzug handelt. Ich laufe, wild mit den Armen rudernd, Richtung Straße, um dem Fahrer zu bedeuten, er möge anhalten, aber als ich dort ankomme, donnert das Gespann bereits in einer Staubwolke gen Horizont.
Wieder kraxle ich den Berg hoch, fluche dabei wesentlich unchristlicher als beim vorigen Mal und schlage dann den Weg zum Dorf ein.
Nach knapp zwanzig Minuten Fußmarsch muss ich feststellen, dass ich die Entfernung offenbar falsch eingeschätzt habe. Mein Ziel scheint momentan weiter weg zu sein als zu Beginn meiner Wanderung.
Ich lasse mich kurz auf einem Baumstamm nieder, atme durch, trockne mir die Stirn und sehe auf die Uhr. Wahrscheinlich fragt der Geistliche gerade die Anwesenden, ob jemand etwas gegen die Verbindung vorzubringen hätte. Das wäre dann mein Auftritt gewesen.
Was, wenn es eine Verzögerung gegeben hat?, denke ich dann. Vielleicht war jemandem unwohl, und man musste ihm erst ein Glas Wasser bringen und Gelegenheit geben, sich auszuruhen. Vielleicht hat auch der Trauzeuge die Ringe vergessen, oder der Pfarrer hat den Termin irrtümlich eine halbe Stunde später eingetragen.
Ich setze mich wieder in Bewegung. Mir ist klar, dass die Wahrscheinlichkeit einer Verzögerung gen null tendiert. Andererseits passiert das dauernd im Kino, da könnte es ja auch mal in der Realität so sein.
Nach weiteren zwanzig Minuten bin ich dem Dorf nur unwesentlich näher gekommen und stehe nun vor einem Flüsschen, das zu breit ist, um darüberzuspringen. Ich ziehe Schuhe, Strümpfe und Hose aus, werfe alles mitsamt dem leeren Kanister ans andere Ufer und schicke mich an, durch den Fluss zu waten. Eigentlich dürfte mir das Wasser nur bis zu den Knien reichen; da das Flussbett jedoch die Konsistenz von Margarine hat, sinke ich bis zu den Knien im Matsch ein und stehe nun bis zur Hüfte im kalten Wasser. Leicht panisch halte ich nach ein paar Felsen Ausschau, weil ich mich schon versinken sehe wie ein Westernbösewicht im Treibsand.
Als ich das Ufer erreiche und mich ins Gras fallen lasse, begrabe ich den Plan, die Hochzeit zu sprengen. Einerseits würde selbst eine mittelschwere Verzögerung inzwischen nicht mehr ausreichen. Nur ein Großbrand, ein Amoklauf oder eine Entführung könnte mir die nötige Zeit verschaffen, noch rechtzeitig aufzutauchen. Andererseits ist meine Unterwäsche gerade klatschnass, und meine Beine sind bis zu den Knien mit Morast überzogen. Ich sehe also momentan aus wie ein notgeiler Torfstecher und würde sowieso ohne Vorwarnung vom nächstbesten Dorfpolizisten erschossen werden, wenn ich mich einer Hochzeit auch nur zu nähern versuchte.
Ich breite meine nasse Unterwäsche mitsamt meinem Hemd auf einem Strauch aus und lege mich
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