Man tut, was man kann (German Edition)
nackt ins Gras. Meinem heutigen Glücksbarometer vertrauend, stelle ich mich sicherheitshalber schon mal darauf ein, dass gleich eine Gruppe Nonnen über mich stolpern und deren Oberin einen Herzinfarkt erleiden wird.
Es kommt jedoch anders. Nach einer kurzen Weile fängt es an zu nieseln. Ich bin zunächst nicht sonderlich beeindruckt. Es macht schließlich keinen großen Unterschied, ob ich nun nackt im Nieselregen liege oder klatschnasse Klamotten trage. Dann jedoch wird der Regen stärker, und es mischen sich erste Graupelschauer hinein. Schließlich ist der Niederschlag derart unangenehm auf der nackten Haut, dass ich nun doch meine nasse Kleidung überstreife.
Das Dorf ist inzwischen hinter einer Wetterwand verschwunden, ich kann nur ungefähr ahnen, wo es sich befindet. Während ich beherzt losmarschiere und mich dabei auf meinen nicht vorhandenen Orientierungssinn verlasse, kommt mir der Film «Into the Wild» in den Sinn. Er erzählt die wahre Geschichte eines jungen Mittelstandsamerikaners, der nach Alaska geht, um zu sich selbst zu finden. Der junge Mann meistert das einsame und karge Leben in der Wildnis, findet aber schließlich dennoch ein tragisches Ende, weil er essbare und extrem giftige Pflanzen verwechselt.
Als Anfang Zwanzigjähriger kommt man aus dem Kino und will sich sofort auf den Weg nach Alaska machen. Dass man dort eventuell den Löffel abgeben könnte, scheint ein vergleichsweise kleiner Preis zu sein für die Schönheiten und Gefahren, die man auf der Reise erleben kann.
Mit Anfang vierzig kommt man aus demselben Kino und beschließt, in die Nähe eines Krankenhauses zu ziehen und künftig bei Spaziergängen im Park immer Sichtkontakt zu anderen Passanten zu halten.
Eine weitere Stunde vergeht, bis ich das Dorf erreiche. Ich bin nass bis auf die Knochen und glaube, erste Anzeichen von Skorbut, Schwindsucht, Malaria und Schneeblindheit an mir feststellen zu können. Immerhin, meine Rettung ist kaum hundert Meter entfernt, ein freundlich wirkendes, hell erleuchtetes Haus, offenbar die Dorfschenke. Wie ich wenig später feststelle, ist es selbstverständlich genau jene Dorfschenke, in der die Hochzeit gefeiert wird, die ich verhindern wollte. Mein Glücksbarometer enttäuscht mich also auch weiterhin nicht.
Als ich durch eines der Fenster spähe, sehe ich Iris im weißen Brautkleid. Gerade dreht sie sich mit dem Bräutigam in einem Walzer über die Tanzfläche, weitere Paare schließen sich nun an. Iris sieht gut aus, unglaublich gut, um ehrlich zu sein. Ich sehe, dass sie ihren Mann anlächelt, kann aber nicht beurteilen, ob sie gerade wunschlos glücklich ist.
Er scheint es zu sein. Seine schneeweißen Zähne blitzen, er ist hoch gewachsen, schlank, muskulös, ein ziemlich guter Fang, würden Schwiegermütter wohl sagen. Die Hochzeitsgesellschaft wirkt vornehm, viel Schmuck, teure Kleider, die Kinder sehen allesamt wie kleine Lords und Prinzessinnen aus. Gerade will ich mich vorsichtig zurückziehen, da erscheinen die Gesichter zweier Luxusgören im Fenster. Die beiden sehen mich, reißen im selben Moment erschrocken die Augen auf und brüllen wie am Spieß, weshalb ich nun überstürzt abtauchen und mich hektisch ins Dickicht schlagen muss, selbiges besteht übrigens größtenteils aus Dorngestrüpp.
Ich warte ein paar Minuten, bis die Luft rein ist, dann beginne ich mich sehr vorsichtig aus den Dornbüschen herauszuarbeiten.
«Das ist nicht dein Ernst», höre ich Iris sagen, als ich mich fast befreit habe.
«Hey! Hi», erwidere ich überschwänglich und tue so, als wäre das hier eine ganz normale Begegnung, obwohl sie ein Brautkleid trägt und ich durchnässt, verdreckt und zerkratzt bin, außerdem gerade aus den Rabatten gekrochen komme.
«Was tust du hier?» Es klingt ebenso bedrohlich wie verärgert.
«Das Gleiche könnte ich dich fragen», erwidere ich, weil mir gerade nichts Besseres einfällt.
«Okay», sagt sie. «Wie du wohl erfahren hast, feiere ich hier meine Hochzeit. Ich hab dir davon erzählt, erinnerst du dich? Die Hochzeit ist der Grund dafür, dass wir uns nicht wiedersehen.»
«Ja, schon gut», entgegne ich leicht patzig. «Es tut mir leid.»
Sie atmet geräuschvoll aus, offenbar ist sie fuchsteufelswild. «Bleibt trotzdem die Frage, was du hier tust», beharrt sie.
Ich habe die Befürchtung, die Wahrheit könnte Iris gerade ein wenig verstimmen. Also erzähle ich ihr nur die Hälfte der Geschichte. «Ich bin zufällig hier. Ich hatte eine Autopanne,
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