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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
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schätze, ich bin siebzehn.
    Die Uhr auf meinem Nachttisch zeigt 5:02Uhr an. Es ist stockfinster, der Mond so von Wolken verschleiert, dass kaum ein Stern zu sehen ist; draußen könnte es genauso gut auch Mitternacht sein. Ich habe Reflektoren, damit ich für den Verkehr besser sichtbar bin, aber die trage ich heute nicht. So früh am Tage sind selbst die Straßenlaternen noch aus. Im Dunkeln, allein, ohne dass mich jemand sehen könnte, ist es beinahe, als wäre ich überhaupt nicht da.
    Das einzige Licht in meinem Zimmer ist der Schein des Computermonitors auf meinem Schreibtisch. Ich überzeuge mich davon, dass meine Tür verschlossen ist. Dann setze ich mich an den Computer und gehe ins Internet, um in meinem Postfach einen Haufen E-Mails von ichliebemeinauto@gmail. com vorzufinden. Die erste Nachricht lautet:
Viel Spaß damit, Süße.
Dicker, feuchter Schmatz
Vinny
    Die Mail hat Anhänge. Es sind Fotos, eins schlimmer als das andere. Insgesamt müssen es annähernd hundert Stück sein. Auf manchen davon trage ich einen Slip und BH. Es sind einige von mir auf der schmuddeligen Matratze in Vinces Apartment dabei, wo ich in billigen Dessous posiere, die ich mir unmöglich selbst gekauft haben kann. Die Posen, die ich einnehme, sind so vollkommen konträr zu allem, was mir jemals in den Sinn käme, dass ein Teil von mir trotz des Umstands, dass ich die Bilder vor mir sehe und ich weiß , dass ich das bin, denkt: Das kann nicht wahr sein. Ich kann mich nicht entsinnen, Richie jemals ein so gewagtes Bild von mir geschickt zu haben. Ich bin noch Jungfrau. Das hier ist praktisch Pornografie. Es ergibt keinen Sinn. Und trotzdem bin ich auf diesen Bildern, die offensichtlich nicht mit Photoshop zusammengebastelt wurden: ich, erniedrigt, mit Zähnen lächelnd, die so fest zusammengebissen sind, dass meine Wangenmuskeln unter meiner Haut zutage treten. Mein einziger kleiner Trost ist die Tatsache, dass ich trotz meines gezwungenen Lächelns offensichtlich keinen Spaß an dem habe, was ich tue.
    Mir fällt auf, dass meine Augen geweitet sind, während ich die Bilder anstarre und nach unten scrolle, um sie mir alle anzuschauen, eindeutig entsetzt über das, was ich da sehe. Sobald ich zum Ende der letzten E-Mail gelange, schließe ich die Dateien, schalte meinen Computer aus und verlasse das Zimmer. Die Luft draußen ist schneidend kalt. Ich bin sicher, dass mein Gesicht nahezu augenblicklich brennend taub wird. Ich trage eine Mütze und Handschuhe, doch meine Wangen stehen zweifellos in Flammen, während ich laufe, ein- und ausatme, meinem Rhythmus finde, mich Meile um Meile vorankämpfe, bis allmählich die Sonne aufgeht, die sich strahlend am Horizont abzeichnet.
    Es ist die reinste Folter, dass ich bloß zusehen und meinem jüngeren Ich folgen kann; meine Bewegungen sind automatisch und geisterhaft. Ich schwebe praktisch hinter mir selbst her, außerstande zu laufen. Außerstande, mich von diesen verfluchten Stiefeln zu befreien.
    Ich laufe den ganzen Weg zu seinem Haus. Das Licht in der Küche ist an. Er wartet auf mich; es scheint, als würde er jeden Augenblick mit meiner Ankunft rechnen. Ich klopfe leise an die Tür, bevor ich eintrete, ohne auf eine entsprechende Aufforderung zu warten. Dann stehe ich in dem warmen Raum, versuche, wieder zu Atem zu kommen, und beobachte Mr. Riley dabei, wie er mit dem Löffel ein winziges Baby – ein Mädchen – füttert, das in einem Hochstuhl am Tisch sitzt.
    Er wirft mir kaum einen Blick zu. »Wie lange warst du jetzt draußen?«
    Die Uhr am Herd verkündet, dass es jetzt 6:54Uhr ist.
    »Zwei Stunden.« Ich strecke meine Arme über den Kopf. Die Decke ist so niedrig, dass meine Fingerspitzen die blassgelbe Spachtelmasse streifen. »Wo ist Ihre Frau?«
    »Sie schläft noch. Ich habe die Frühschicht mit dem Baby übernommen. Hol dir ein Glas Wasser, Liz.« Schließlich schweift sein Blick in meine Richtung. »Du wirst sonst dehydrieren. So schaffst du es nicht bis nach Hause.«
    Auf den pummeligen, roten Wangen des Babys ist überall Apfelmus verschmiert. Ich erinnere mich, dass ihr Name Hope ist, wie die Hoffnung. Sie gurrt vor Vergnügen und lächelt ihren Vater, der ein weißes T-Shirt und Pyjamahosen trägt, voller Verehrung an.
    »Hast du gefrühstückt?«, fragt er.
    Als ich nicht antworte, sagt er: »Ich deute das mal als nein. Du musst etwas essen, Liz. Willst du auf der Straße zusammenbrechen? Willst du dir nochmal eine Gehirnerschütterung einfangen?«
    »Ich stecke

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