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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
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trage die Kapitänsmütze meines Dads. Meine Eltern stehen links und rechts von mir. Wir lächeln alle. Meine Mutter ist so dünn, dass ihre Wangen tief eingefallen sind. Ihre Arme gleichen Leisten. Jeder Narr konnte erkennen, dass es ihr nicht gut ging.
    Mom. Im Augenblick wünsche ich mir so verzweifelt, bei ihr zu sein. Ich würde alles dafür geben. Ich schließe die Augen und versuche, mich an sie in besseren Zeiten zu erinnern, bevor sie krank wurde.
    Und wie durch Zauberei sind wir da: Ich stehe da und sehe uns beide im Waschraum der Grundschule. Ich trage ein schwarzes Balletttrikot, rosa Strumpfhosen und rosa Ballettschuhe. Mein hellblondes Haar ist zu einem straffen, von Mädchenhaarklammern gehaltenen Knoten zurückgebunden. An diesem Abend muss eine Tanzaufführung stattfinden. Als kleines Mädchen habe ich alles gemacht: Ballett, Stepptanz, Jazztanz, Gymnastik – ich hatte sogar eine Weile Schauspielstunden an unserem Gemeindetheater.
    »Ich habe Angst, dass ich es vermassle«, erkläre ich meiner Mom; ich bin offensichtlich ziemlich nervös. Ich bin vielleicht sechs Jahre alt. Meine Mutter ist immer noch schrecklich dünn — ich kann mich nicht daran erinnern, dass das je anders war –, doch sie sieht glücklich aus. Sie schien meine Aufführungen immer zu genießen. Neben ihr auf dem Rand des Waschbeckens balanciert ein Schminktäschchen. Sie kniet vor mir und hat die Augen ein wenig zusammengekniffen, während sie sacht Rouge auf meine jungen Wangen pudert.
    »Du wirst es nicht vermasseln, Liebes. Du kennst alle Schritte. Ich habe gesehen, dass du es kannst. Du wirst großartig sein.«
    »Darf ich Mascara auflegen?«
    Sie lächelt. »Aber klar.«
    »Wird Daddy wütend sein?«
    »Weil ich dich Make-up tragen lasse? Nein, er wird nicht wütend sein. Du siehst aus wie eine Prinzessin. Du bist wunderschön. «
    »Daddy sagt, ich brauche keine Schminke, um hübsch zu sein.«
    Meine Mom beißt sich fest auf die Lippen. Sie wühlt in dem Schminktäschchen herum und holt ein gelbes Mascara-Röhrchen daraus hervor. »Mach die Augen weit auf«, sagt sie zu mir. »Schau nach oben. Ich zeige dir jetzt, wie man das macht.«
    Nachdem sie mich zu Ende geschminkt hat – Rouge, Mascara, sogar Lippenstift und Lidschatten –, legt sie mir die Hände auf die Schultern und schaut mich an. »Du sieht perfekt aus«, sagt sie.
    »Wirklich?« Ich zapple in meinen Ballerinas herum.
    »Ja, wirklich.« Sie küsst mich auf die Nasenspitze. »Mein perfektes kleines Mädchen.«
    Ich wünsche mir so sehnlich, ich würde tatsächlich selbst in meinem sechsjährigen Inneren stecken und ihre Berührung spüren. Aber alles, was ich tun kann, ist zusehen.
    »Mrs. Greene sagt, dass es keine Rolle spielt, wie jemand äußerlich aussieht. Sie sagt, das Einzige was zählt, ist innerlich schön zu sein.« Mrs. Greene war meine Tanzlehrerin. Ich halte inne und denke nach. »Aber ich glaube, es ist auch wichtig, äußerlich schön zu sein. Nicht wahr, Mami?«
    Meine Mutter zögert. »Es ist wichtig, innerlich schön zu sein«, sagt sie. »Das ist sogar sehr wichtig, Elizabeth. Aber du bist ein Mädchen. Bei Mädchen ist das anders.« Und sie gibt mir noch einen Kuss auf die Nase, bevor sie aufsteht und mich bei der Hand nimmt, um mich aus dem Waschraum zu führen.
    Als ich ihr folge, sehe ich, dass mein Dad im Gang auf uns wartet, wo noch eine Menge anderer Eltern mit ihren kleinen Ballerinas sind, die darauf warten, dass die Aufführung beginnt. Als er mich sieht und die starke Schminke bemerkt, läuft sein eigenes Gesicht dunkelrot an.
    »Was soll das?«, flüstert er meiner Mom zu. Er ist offensichtlich verärgert.
    »Sie ist gleich auf der Bühne, Marshall. Ich möchte, dass sie auffällt.«
    »Sie fällt auch so schon auf. Sie ist fünfzehn Zentimeter größer als alle anderen und spindeldürr.« Mein Dad wirft mir ein gezwungenes Lächeln zu. »Wie eine richtige Ballerina.«
    »Es ist bloß ein bisschen Rouge.« Meine Mutter runzelt die Stirn. »Nicht der Rede wert. Bloß, um die Farbe ihrer Wangen zu betonen.«
    »Sie sieht wie eine gottverfluchte Geisha aus«, murmelt mein Vater.
    »Was ist eine Geisha?«, frage ich, zu ihnen aufschauend. »Sind Geishas hübsch?«
    Meine Eltern schauen einander an. Mein Vater sieht meine Mutter durchdringend an, die jetzt mit ausdruckslosem Gesicht dasteht; ihre Miene wirkt trotzig und endgültig.
    »Geishas sind hübsch, ja«, erklärt sie mir. »Aber nicht so hübsch wie du.« Und sie kniet sich

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