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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
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warten – aber worauf? Warum sind wir noch hier? Was sollen wir eigentlich hier? Das Puzzle zusammensetzen, meint Alex … Aber zu welchem Bild? Wieder versuche ich mir einzureden, dass keiner meiner Freunde mir Schaden zugefügt hätte. Was hätten sie dafür auch für einen Grund gehabt?
    Ich versuche zu schlucken und schmecke Salzwasser. Als befände ich mich nach wie vor auf dem Boot, scheint der Raum bedächtig hin und her zu wanken. Und plötzlich fällt mir das Atmen schwer.

6
    Als Alex und ich bei Richies Elternhaus eintreffen, brechen meine Freunde gerade auf. Topher und Mera steigen in Tophers Wagen. Caroline hat vor, mit ihnen mitzufahren; sie steht mit Richie und Josie auf der vorderen Veranda, knöpft ihre schwarze Jacke zu und schlingt in der kühlen Luft die Arme um sich. Meine Freunde sehen in ihrer Trauerkleidung so ernst und erwachsen aus; ihre Augen sind rot und verquollen vom Weinen.
    Für Ende August ist das Wetter ausgesprochen trist, wenn man bedenkt, dass technisch gesehen noch Sommer ist. Caroline schlingt einen Burberry-Schal um ihren Hals und reibt ihre Hände aneinander, um sie zu wärmen. Sie hebt ihre Handtasche vom Verandaboden auf und hält sie dicht an ihren Körper gedrückt.
    »Ich muss nach Hause«, sagt sie. »Meine Eltern haben sich die letzten Tage über wie Verrückte aufgeführt.«
    Josie nickt. »Ich schätze, ich sollte mich ebenfalls auf den Heimweg machen.« Sie sieht Richie an. Er sitzt auf den Dielen der überdachten Vorderveranda und starrt in die Lücke zwischen seinen Schuhen. Er sieht aus, als hätte er seit Tagen nicht geschlafen. Er hat Ringe unter den Augen, und seine Haut ist pickelig. Seine Lippen sind spröde. Er ist nach der Beerdigung mit seinen Eltern nach Hause gefahren, doch vom Wagen seines Dads ist auf der Straße nichts zu sehen; vermutlich haben seine Eltern ihn abgesetzt und sind dann weiter. Dieser Umstand macht mich wütend, doch er überrascht mich nicht. Ich brauche nicht einmal reinzugehen, um zu wissen, dass sie für ihn etwas Geld auf den Küchentresen gelegt haben. Als ließe sich damit alles regeln. Als würde er so hervorragend ohne sie klarkommen.
    Ich gehe zu Richie hinüber, setze mich neben ihn auf die Veranda und lehne meinen Kopf gegen seine Schulter. Ich gehe davon aus, dass es mir wieder nicht möglich sein wird, ihn wirklich zu fühlen, so wie bei den anderen auch.
    Doch diesmal ist es anders. Ich kann ihn immer noch nicht spüren – nicht wirklich jedenfalls –, aber zumindest beinahe. Es ist, als wäre er bloß eine Winzigkeit außer Reichweite. Ich kann ihn deutlich fühlen, bis hin zu seinem Hemdstoff und dem warmen Fleisch unter seiner Kleidung. Und ich kann ihn riechen. Seine Eltern sind beide Bildhauer, Hippies, wie sie im Buche stehen. Deshalb riecht Richie immer nach feuchtem Ton. Nach feuchtem Ton und nach Patchouli.
    »Alex«, sage ich. »Etwas ist anders. Ich kann ihn fast berühren. «
    Aufgeregt lege ich meine Hand an Richies Wange. Ich versuche mit aller Macht, mich zu konzentrieren, aber das bringt nicht viel; zwischen uns ist nach wie vor eine unsichtbare Barriere. Doch ich habe das Gefühl, dass ich, wenn ich mich nur genug bemühe – wenn ich es wirklich will –, womöglich imstande bin, zu ihm durchzubrechen. Vielleicht wird es eine Weile dauern. Doch ich würde alles tun, um einen richtigen Kontakt zu ihm herzustellen.
    Ungeachtet meiner gesteigerten Sinneswahrnehmungen, was ihn betrifft, lässt Richie nicht erkennen, dass er mich wahrnehmen kann. Als ich die Augen schließe und mich auf die Liebe konzentriere, die ich für ihn empfinde, kann ich jedes kleine Barthaar fühlen, die unvollkommene Beschaffenheit seines süßen Gesichts, den Schwung seines Kiefers. Ich bin mir so sicher, dass wir noch immer irgendwie miteinander verbunden sind, dass ich anfange zu zittern. Einen Moment lang fühlt sich mein Körper so elektrisiert an, dass ich den Schmerz in meinem Fuß beinahe vergesse, die Qual meiner in den Stiefeln eingequetschten Zehen. Beinahe. Aber nicht ganz.
    »Beruhige dich«, sagt Alex. »Vermutlich bildest du dir das bloß ein.«
    »Ich bilde mir gar nichts ein. Alex, ich mein’s ernst! Bei Richie ist es anders. Ich habe das Gefühl, ihn berühren zu können, wenn ich mich wirklich anstrenge. Ich bin so nah dran. Was glaubst du, was das bedeutet?«
    Er zuckt desinteressiert die Schultern. »Wahrscheinlich nichts. Du bist tot, Liz.«
    »Josie«, sagt Caroline und sieht meine Stiefschwester mit

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