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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
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klebt ihm im Gesicht. Seine Atmung ist tief und abgehackt.
    Ich kenne diesen Tag. Die Erinnerung schält sich scheinbar aus dem Nichts heraus, während ich zusehe, wie sie sich überdeutlich vor mir entfaltet.
    Es ist Frühling, wir sind in der 10. Klasse. Richies Eltern sind in Prag, schon seit fast zwei Wochen. Die Wilsons haben Richie Geld dagelassen, damit er sich Essen kaufen kann, solange sie fort sind, und er hat sich im Supermarkt mit Brot und Aufschnitt eingedeckt. Vor drei Tagen ließ er über Nacht versehentlich ein Päckchen Putenwurst auf dem Küchentresen liegen. Am nächsten Morgen aß er trotzdem etwas davon, und nun hat er eine Lebensmittelvergiftung. Er war seit zweieinhalb Tagen nicht in der Schule.
    Die gesamte Zeit über habe ich die Schule geschwänzt, um mich um ihn zu kümmern. Jeden Morgen gehen Josie und ich zusammen die Straße hinunter, auf dem Weg zur Highschool. Dann kehre ich um und schleiche durch kleine Gassen und Seitenstraßen zurück, damit mein Dad und Nicole mich nicht durch die Verandatür in Richies Haus gehen sehen.
    Jetzt schaue ich zu, wie mein jüngeres Ich Richies Zimmertür aufstößt. Ich habe eine dampfende Schüssel Brühe in einer Hand und ein Glas Wasser in der anderen. Er ist so krank, dass er mich kaum zur Kenntnis nimmt. Neben seinem Bett steht ein Eimer. Ich kann den Raum riechen; es stinkt nach Schweiß und Erbrochenem.
    »Hey«, flüstert mein jüngeres Ich. Obwohl nur Richie hier ist, bin ich dennoch wie aus dem Ei gepellt, perfekt geschminkt, mein Haar zu einem sorgsam zerwuselten Fischschwanz gebunden, der mir über die Schultern hängt. »Wie geht’s dir?«
    »Uhhh«, stöhnt er. Er hält inne, atmet tief und mühsam. Dann sagt er: »Besser. Ich fühle mich ein bisschen besser.«
    Ich setze mich neben ihm vorsichtig aufs Bett. Nur eine Sekunde lang schweift mein Blick zu dem Eimer, und obwohl ich sehe, was er enthält, scheint es mir nicht das Geringste auszumachen. Ich stelle die Schüssel und das Glas auf seinen Nachttisch und lege meine Handfläche auf seine Stirn. Als ich sie wieder wegziehe, trieft sie förmlich von seinem Schweiß. Ohne zu zögern wische ich mir die Hand an meiner schwarzen Caprihose ab.
    Mein sechzehnjähriges Ich sieht Richie mit etwas an, das man bloß als wahre Liebe beschreiben kann. Als Geist beobachte ich uns beide, so von der spürbaren Zärtlichkeit berührt, dass ich beinahe zu atmen vergesse.
    Nicht dass das eine Rolle spielen würde.
    »Kannst du dich hinsetzen?«, frage ich und berühre ihn leicht am Rücken. Er glänzt vor Schweiß, während er da auf der Seite liegt.
    »Ja.« Er nickt und setzt sich auf. Mit zittriger Hand nimmt er das Wasserglas vom Nachttisch und trinkt einige Schlucke.
    Wortlos schlinge ich den Arm um seine nackte Hüfte. Ich drücke meine freie Hand gegen seine Stirn. »Du bist ganz warm«, murmle ich.
    »Das liegt an der Lebensmittelvergiftung. Ich habe kein Fieber, Liz. Ich komme schon wieder in Ordnung.«
    Ich ziehe ihn ein bisschen näher an mich. »Du solltest zum Arzt gehen.«
    »Nein.« Er nimmt einen letzten Schluck Wasser, stellt das Glas auf den Nachttisch zurück und lässt sich auf die Matratze zurückfallen, um mich mit sich zu ziehen. »Mir geht’s bald wieder besser. Das muss es. Ich muss haufenweise Hausaufgaben nachholen.« Er hält inne. »Übrigens genau wie du.«
    Ich ignoriere die Bemerkung; Hausaufgaben sind das Letzte, was mir jetzt Sorgen bereitet. »Wir könnten jemanden herkommen lassen, um dich zu untersuchen. Wie wär’s mit Sharon Reeses Dad? Ich bin sicher, dass er vorbeischauen würde.«
    »Elizabeth.« Richie lächelt beinahe. »Der Mann ist Tierarzt. «
    Ich seufze, als ich mich hinter ihn lege, meinen Körper gegen den seinen geschmiegt, unsere Arme miteinander verschlungen, unsere Hände an seinem Bauch verschränkt. »Wie kann ich dir helfen?«
    Er schließt die Augen. »Das tust du doch schon. Du bist hier. Aber, Liz, morgen musst du wieder zur Schule gehen. Du weißt, dass sie deine Eltern anrufen werden, wenn du drei Tage hintereinander fehlst.«
    »Mmm. Spielt keine Rolle. Mein Dad wird in der Arbeit sein, und Nicole geht nie ans Festnetztelefon. Und falls sie eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, lösche ich sie.« Ich schließe die Augen, ziehe unsere Körper dichter zueinander. Während ich uns beide beobachte, kann ich mich plötzlich entsinnen, wie sich sein Körper anfühlte. Ich erinnere mich daran, dass ich jede einzelne Pore auf

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