Manche Maedchen muessen sterben
Ich habe das »Beste Freundinnen«-Kettchen um den Knöchel, das Josie mir neun Jahre zuvor geschenkt hat. Sobald sie und ich in die Mittelstufe kamen, gelangten wir zu dem Schluss, dass es nicht mehr cool war, die Kettchen am Handgelenk zu tragen, also ließen wir zusätzliche Glieder einfügen und trugen sie fortan um den Fußknöchel. Wir legten sie praktisch niemals ab. Mir wird bewusst, dass ich meins vermutlich noch immer trage, vorne im Raum, wo ich in meinem Sarg liege.
»Du hast deine Laufstrecke geändert?«, fragt Alex. »Wann?«
»Das muss gewesen sein, nachdem sie dich gefunden haben. Normalerweise bin ich jeden Morgen am Mystic Market vorbeigelaufen, aber nachdem sie deine Leiche gefunden hatten, konnte ich es nicht mehr ertragen, den Market zu sehen.« Ich schaudere und streife mir den Stiefel wieder über den Fuß. Mir bleibt nichts anderes übrig, als ihn wieder anzuziehen. Ich habe schon mehr als einmal versucht, barfuß zu bleiben, doch einen Augenblick später sind die Stiefel einfach wieder an Ort und Stelle. Die Schuhe sind nun scheinbar ein Teil von mir. Ich werde sie nie mehr los.
»Was dir zugestoßen ist, war grässlich, Alex.«
Doch er antwortet nicht. Er ist zu sehr damit beschäftigt, Mera auf die Brust zu starren, während sie zu ihrem Platz zurückgeht.
»Du hast wirklich einen Haufen attraktiver Freunde, Liz. All die scharfen Mädels. All die coolen Jungs.« Er schüttelt den Kopf. »Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich mal so viel Zeit mit ihnen verbringen würde.«
Ich zucke die Schultern. »Na ja, ich war beliebt. Du kannst vermutlich von Glück reden, dass du wenigstens jetzt in ihrer Nähe sein darfst.« Ich halte inne, als mir einfällt, dass Überheblichkeit nicht unbedingt von guten Manieren zeugt; tatsächlich ist mir das, was ich gerade gesagt habe, plötzlich ziemlich peinlich. »Allerdings weiß ich gerade nicht mehr, ob ich tatsächlich so beliebt war, jetzt, wo du es erwähnst.«
Er sieht mich mit düsterer Miene an. »Ach, meinst du? Ich will dich etwas fragen, Liz. Musstest du je in der Bibliothek zu Mittag essen?«
»Was meinst du damit?«
»Du weißt, was ich damit meine.«
Ich blinzle ihn kühl an. »Nein, tue ich nicht.«
»Doch, das tust du. Ich habe dir die Erinnerung gezeigt. Du hast Frank in der Kantine gesehen, wo er von deinen … Freunden schikaniert wurde. Du hast mich gesehen, wie ich allein für mich saß.«
»Alex. Ich sagte doch, dass es mir leidtut.«
»Was tut dir leid? Dass du nichts dagegen unternommen hast? So war es fast jeden Tag, Liz. Ich wusste, es ist bloß eine Frage der Zeit, bis Topher oder einem deiner anderen Freunde auffällt, dass ich ebenfalls allein bin und mir mein Essen auch von zu Hause mitbringe. Und weißt du, was ich dann tat?«
»Was?« Ich habe das Gefühl, dass ich das gar nicht wissen will.
»Ich bin mit meinem Lunch in die Bibliothek gegangen und habe dort gegessen. Ganz allein.«
»Das hättest du nicht tun …«
»Doch, das musste ich tun. Ich musste unsichtbar werden. Nachdem ich mit angesehen hatte, wie sie Frank zusetzten, wusste ich, wozu deine Truppe fähig war. Du und deine Freunde, ihr wart … ihr wart leer. Ihr konntet euch wie Monster aufführen.«
Ich erwidere nichts darauf. Stattdessen blicke ich zum vorderen Bereich des Raumes, wo meine Freunde zusammensitzen, alle weinend und mit geröteten Augen. In diesem Moment sehen sie mit Sicherheit nicht wie Monster aus.
»Richie ist der Einzige von euch, der so was wie ein Gewissen besitzt«, sagt Alex. »Doch er tat nie viel, um euch andere aufzuhalten. Er blieb immer an deiner Seite, ganz gleich, was du gemacht hast. Es war, als könntest du in seinen Augen nichts falsch machen.« Alex schüttelt verbittert den Kopf. »Du hattest ihn so richtig um den Finger gewickelt, nicht wahr?«
»Alex, ich sagte dir bereits, dass es mir leidtut.«
Doch er ist noch nicht fertig. »Du weißt nicht, wie es ist, uncool zu sein. Allein zu sein. Das war kein Spaß, Liz. Es war hart.«
Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Ich weiß nicht, wie ich dafür sorgen kann, dass er sich besser fühlt, oder ob ich überhaupt irgendetwas tun kann, um ihm zu helfen. Also platze ich mit dem Erstbesten heraus, das mir in den Sinn kommt. Mit dem Einzigen, das mir seit dem Augenblick, als wir den Raum betraten, im Kopf herumspukt.
»Weißt du, wie meine Mutter gestorben ist?«
Er schüttelt den Kopf. »Keine Ahnung. An einer Überdosis Champagner und
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