Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
Vom Netzwerk:
gefälligst alle die Klappe«, sagt Mera und dreht das Radio auf. »Lasst uns fahren!«
    Ich sehe zu, wie wir davonfahren; die Musik dröhnt, und die Reifen des Mercedes quietschen, als Mera vom Parkplatz braust.
    Also hatte Alex vielleicht doch recht; vielleicht war ich wirklich kein allzu netter Mensch. Im Cross-Country-Team hatte ich jedenfalls sicherlich keine Freunde.
    Doch ich war mit Mr. Riley befreundet. Er war mir wichtig. Und offensichtlich war ich ihm ebenfalls nicht egal. Das ist doch schon was. Momentan, im Lichte all der Erinnerungen, in denen ich mich selbst beobachtet habe, ist mir alles recht, das beweist, dass ich kein Alptraum von einem menschlichen Wesen war, wie Alex es so drastisch formuliert hat.
     
    Und mit einem Lidschlag bin ich wieder in der Gegenwart und stehe zusammen mit Alex und Richie in Mr. Rileys Büro. In diesem Augenblick hat Mr. Riley sein Kinn in die Hände gestützt und sagt: »Sieh mal an, wenn das nicht der geniale Richie Wilson ist. Sieht aus, als hättest du dich auf die falsche Seite des Sandkastens verirrt.«
    Mein Freund verschränkt die Arme vor der Brust und lehnt sich gegen den Türrahmen. Seine Haltung mag lässig sein, doch die Anspannung in seinem verkrampften Kiefer verrät mir, dass er nervös ist. »Was soll das denn heißen?«
    Einen Moment lang habe ich den Eindruck, dass Mr. Riley ihn rauswerfen will. Alex hat recht: Vermutlich weiß er tatsächlich, was Richie zur Entspannung tut. Es ist ja auch nicht so, als hätte Richie jemals große Mühen auf sich genommen, um es zu verheimlichen. Manchmal dachte ich, er wollte erwischt werden – als wäre das für ihn fast eine Erlösung.
    »Hören Sie, ich weiß, dass Sie mich nicht mögen«, sagt Richie.
    Das streitet Mr. Riley nicht ab. Aber er ist auch nicht gemein zu ihm. »Ich will nicht so tun, als wüsste ich, wie du dich gerade fühlst. Ich weiß, dass das alles schrecklich für dich sein muss, Richie.« Er setzt sich aufrecht hin und spielt nervös mit der Stoppuhr herum, die um seinen Hals hängt.
    Obwohl Richie erst siebzehn ist, könnte ich mir vorstellen, dass er auf jemanden wie Mr. Riley einschüchternd wirkt. Sie sind so grundverschieden: Richie ist kräftig gebaut und bewegt sich mit zuversichtlicher Langsamkeit, so dass er beinahe zu schlendern scheint, den Kopf voll von den Büchern, die er gelesen hat, aber gleichzeitig ist er trotzdem irgendwie cool, so absolut kein Streber – während Mr. Riley durch und durch schnelle Muskelfaser ist. Er gehört zu den schlichten, netten Burschen, und seine einzig wahre Leidenschaft ist es, einen Fuß vor den anderen zu setzen, immer und immer wieder, bis es nichts anderes mehr gibt als Körper und Straße und Atmung. Ausgeschlossen, dass ihn heute noch ein Siebenjähriger einholen könnte, der eine Luftpistole schwingt.
    »Ich bin gelaufen«, platzt Richie heraus. Er sieht Mr. Riley nicht an. Sein Blick ruht auf dem Bücherregal hinter dem Kopf meines Trainers, auf dem sich Titel drängen wie Neuer Körper, neues Leben ; Zen-Lauf ; Zum Laufen geboren ; und das peinliche Let’s talk about Sex! Was Jugendliche über Liebe, Sex und Partnerschaft wissen wollen .
    Ich bin überraschter als jeder andere im Raum, als ich höre, was Richie in den zwei Wochen gemacht hat, die seit meinem Tod vergangen sind. Alex und ich haben ihn kein einziges Mal draußen laufen sehen. Ich hatte angenommen, dass er den Großteil seiner Freizeit damit zubringt, mit seiner Zunge in Josies Rachenraum Trost zu suchen.
    »Gelaufen? Du meinst weggelaufen, vor den Cops?« Mr. Riley legt den Kopf schräg.
    Richie nimmt die Frage ernst. »Nein, nicht vor den Cops. Ich meine, ich bin richtig gelaufen . In sportlicher Hinsicht. Ich weiß nicht, warum ich das tue. Ich bin letzte Woche eines morgens aufgewacht und hatte einfach das Gefühl, mich bewegen zu müssen.« Er schluckt. »Liz hat oft davon gesprochen. Manchmal fragte ich sie: ›Woran denkst du, wenn du da draußen bist und stundenlang läufst?‹ Und dann sagte sie immer: ›An nichts.‹«
    Ich lächle. »Er hat recht.« Ich sehe Alex an. »Du weißt nicht, wie sich das anfühlt, oder? Stundenlang an absolut gar nichts zu denken? Das kommt einem wie der Himmel vor.«
    Er schenkt mir ein trauriges kleines Lächeln. »Als wüsste einer von uns, wie es im Himmel ist.«
    Mr. Riley ist genauso überrascht wie ich; das ist offensichtlich nicht das, was er von Richie erwartet hat. »Nun, das stimmt«, sagt er. »Laufen ist Meditation. Es

Weitere Kostenlose Bücher