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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
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vielleicht …«
    »Hey. Hör auf damit.« Mr. Riley studiert im hässlichen, grellen Schein des Neonlichts die Miene meines Freundes. »Tu dir das nicht an. Du konntest ihr nicht helfen.«
    Richie stellt seinen Fuß wieder auf den Boden. Er beißt sich auf die Unterlippe. »Die Leute reden über mich«, sagt er. »Das weiß ich. Die Leute wollen das Ganze in ein Drama verwandeln. Sie überlegen, ob es womöglich gar kein Unfall war.«
    Mr. Riley verharrt ganz reglos. Er scheint kaum zu atmen. Sagt kein Wort.
    »Vielleicht haben sie recht«, sagt Richie. »Alles, woran ich mich erinnere, ist, dass ich eingeschlafen bin. Wer weiß, was danach passiert ist? Wir waren zu sechst auf dem Boot.« Seine Augen sind feucht. Abgesehen von meiner Beerdigung ist dies das einzige andere Mal, dass ich Richie jemals habe weinen sehen. »Irgendjemand muss wissen, was passiert ist. Denken Sie nicht auch, Mr. Riley? Sie kannten sie. Sie war etwas Besonderes. Menschen wie sie sterben nicht einfach so, oder?«
    Mr. Riley schüttelt den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
    »Ich habe das Gefühl, als müsste ich angestrengt lauschen«, fährt Richie fort. »Und irgendetwas sagt mir, dass ich laufen muss.«
    Ich kann mich kaum rühren. »Das bin ich«, flüstere ich. »Ich bin genau hier, Richie. Ich bin bei dir.«
    »In Ordnung.« Mr. Riley nickt. »Dann solltest du das auch tun. Komm nach der Schule her«, sagt er. »Ich warte bei der Strecke. Ich werde deine Form überprüfen. Schauen wir mal, ob wir rausfinden, warum dein Fuß wehtut.«
    Als die beiden den Raum verlassen, macht Mr. Riley das Licht aus, um Alex und mich im Dunkeln zurückzulassen. Ich versuche, in meinen Stiefeln mit meinen Zehen zu wackeln, doch sie haben praktisch null Bewegungsfreiheit.

9
    Meine Freundinnen stehlen meine Sachen.
    »Es ist kein Stehlen, wenn du sie ohnehin nicht mehr tragen kannst«, merkt Alex an. Wir sind in meinem Zimmer, in dem absolutes Chaos herrscht: mein Eichenhimmelbett ist ungemacht, das rosa-weiß gestreifte Laken und die Daunendecke ein einziges verheddertes Knäuel am Fußende der Matratze. Auf der Platte meines Schminktischs steht eine Menge Make-up, alles von Rouge über mehrere Tuben Mascara und glitzernde Körperlotion bis hin zu mindestens drei Dutzend Lippenstiften, die in einer ziemlich teuren Designerhandtasche gesammelt sind, welche ich offensichtlich ausschließlich zur Lagerung von Kosmetika verwendet habe. Ich entsinne mich nicht, so schlampig gewesen zu sein. Außerdem ist es mir peinlich, dass Alex mein Zimmer in einem solchen Durcheinander sieht.
    »Aber das sind meine Sachen«, schmolle ich. »Es ist erst ein paar Wochen her. Sie könnten ruhig ein bisschen länger warten. «
    »Tja, so sind deine Freundinnen eben. Ich meine, man muss schon damit rechnen, dass sie die Gelegenheit beim Schopfe packen, wenn es Klamotten umsonst gibt. Mach dir doch nichts vor, Liz. Für die ist das noch besser als Schlussverkauf bei JCPenney.«
    Bei der Bemerkung zucke ich zusammen. »Alex. Meine Freundinnen und ich kaufen nichts bei JCPenney .«
    Eine unglaubliche Traurigkeit überkommt mich, als ich meine alten Sachen betrachte. Dieses Durcheinander birgt eine Geschichte; dieses Chaos ist ein unverfälschtes Beispiel dafür, wer ich war. Während ich mir alles anschaue, treiben Erinnerungsfragmente an die Oberfläche meines Bewusstseins, um kleine Stücke für ein scheinbar unmöglich großes und stetig wachsendes Puzzle zu liefern. An der Pinnwand über meiner Kommode hängen etliche Lauf-Auszeichnungen. Meistens für den zweiten und dritten Platz – wie ich schon sagte, Geschwindigkeit war nie meine große Stärke –, aber dafür sind es Dutzende. In einer Ecke meines Zimmers, neben der Kommode, liegt ein Haufen Laufschuhe. Ich habe mir alle sechs Wochen ein neues Paar zugelegt, doch ich konnte die alten nie wegwerfen. Stattdessen habe ich sie gehortet. Es sind schätzungsweise zwanzig Paar, die in der Ecke Staub fangen, die Sohlen beinahe glattgerieben von so vielen Meilen auf sandigen, salzigen Straßen. Ich hatte es mir zur Angewohnheit gemacht, das Kaufdatum jedes Paars mit schwarzem Edding auf die Seite des linken Schuhs zu schreiben, damit ich ungefähr wusste, wann sie hinüber waren.
    Ich verspüre das überwältigende Verlangen, alles noch ein allerletztes Mal zu berühren, sei es nun der billige Stoff einer hart erkämpften Siegesschleife oder die straffen Fäden in der Naht eines Schuhs. Zu wissen, dass ich das nicht kann, macht

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