Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
Vom Netzwerk:
mit dem Finger gegen die Lippen.
    »Sehen Sie? Da ist nichts.« Richie wirkt selbstgefällig und wackelt in der kühlen Nachtluft mit den Zehen. »Kann ich jetzt gehen?«
    Joe nimmt sich einen langen Moment Zeit, um ihn zu mustern. Er schaut sich um; sein Blick schweift von Richies Elternhaus zu meinem und dann wieder zurück zum Wagen. Wortlos schlendert er zum Heck des Wagens und öffnet den Kofferraum. Die Mundwinkel meines Freundes sacken nach unten. Joe zerrt an der Bodenabdeckung des Kofferraums, bis er sie herausziehen kann, um die Ausbuchtung freizulegen, wo sich eigentlich der Reservereifen befinden sollte. Doch der Reifen fehlt; stattdessen finden sich dort die nur allzu vertraute Ausgabe von Große Erwartungen und eine braune Papiertüte.
    Mein Freund versucht eindeutig, den Unbeteiligten zu spielen, doch mir fällt auf, dass er jetzt merklich schwitzt. Er öffnet den Mund, um etwas zu sagen, schließt ihn, öffnet ihn von neuem. Er starrt mit so etwas wie Bedauern auf seine Füße hinab. Ich kann mir denken, was ihm durch den Kopf geht: Würde er Laufschuhe tragen, könnte er davonsprinten.
    Als Joe Große Erwartungen aufschlägt und feststellt, dass das Buch voller Drogen und Geld ist, überrascht mich das nicht. Doch auf das, was er in der Papiertüte entdeckt, bin ich ganz und gar nicht vorbereitet.
    »Heilige Scheiße«, sagt Alex und macht einen großen Schritt rückwärts – wie aus Angst davor, verletzt zu werden.
    Doch Joe tritt ebenfalls zurück. Seine Augen sind weit aufgerissen, ein erwachsener Mann, ein Polizist, der mit einem Mal besorgt ist, weil er hier allein auf der Straße steht, im Dunkeln, nicht einmal mit einem Paar Handschellen ausgerüstet, um meinen Freund zu fesseln.
    Richie steht einen Moment lang da wie erstarrt. Sein Blick flackert vom Kofferraum zu Joe und dann zurück zum Kofferraum. Mit einer einzigen, flinken Bewegung springt er vor und schließt seine Hand um den Gegenstand, der aus der Papiertüte aufgetaucht ist.
    Es ist eine Waffe.
    Joe stürmt auf Richie zu, aber er ist zu langsam. Die Waffe gegen die Brust gedrückt, fast, als würde er sie umarmen, macht mein Freund auf dem Absatz kehrt und beginnt, die verwaiste Straße hinunterzulaufen. Seine Flip-Flops klatschen in einem hektischen Rhythmus aufs Pflaster; an eine Flucht mit dem Wagen ist nicht mehr zu denken.
    Richie ist schnell; Joe versucht nicht einmal, ihn weiter als einige Meter zu verfolgen. Er steht verblüfft auf der Straße – offensichtlich ist dies alles mehr Ärger, als er so früh am Morgen in unserer ansonsten verschlafenen Stadt erwartet hätte.
    Abgesehen von den Drogen, die Richie zurückgelassen hat, ist da noch etwas anderes: Als Joe die Papiertüte wieder aufhebt, gleitet eine Speicherkarte aus dem Beutel und fällt zu Boden, um unter dem Auto zu verschwinden. Sie ist so winzig, so unscheinbar, dass sie einem leicht hätte entgehen können. Doch aus dem Augenwinkel sieht Joe, wo die Speicherkarte landet.
    Er bückt sich und hebt sie vorsichtig auf, um sie zwischen Daumen und Zeigefinger zu halten. Dann hebt er den Arm und hält die Karte gegen das Mondlicht. Alle drei betrachten wir sie.
    »Na, was haben wir denn da?«, sagt Joe laut.
    Alex sieht mich an. »Weißt du, was da drauf ist?«
    Ich durchforste meinen Verstand nach einer Ahnung oder einer Erinnerung, nach irgendetwas, das mir auch nur den geringsten Hinweis darauf geben könnte, was für Informationen auf der winzigen Karte gespeichert sind. Aber ich habe nicht die leiseste Ahnung.
    Es könnte alles Mögliche sein. Private Informationen über mich oder Richie oder vielleicht auch etwas, das ich mir nicht einmal vorzustellen vermag. Doch ich habe nicht die Möglichkeit, den Inhalt vor fremden Blicken zu schützen, ihn vom Rest der Welt fernzuhalten. Und Richie ist dazu ebenfalls nicht imstande. Nicht jetzt. Alles, was er tun kann, ist, vor dem Haufen Ärger davonzulaufen, den er sich selbst eingebrockt hat. Und alles, was ich tun kann, ist abwarten.

15
    Überall sind Cops. Es ist ein Anblick, der mir im Laufe des letzten Monats nur allzu vertraut geworden ist: Chaos, ausgelöst durch eine Sache, die ganz schrecklich schiefgegangen ist. Die Nachbarn drängen sich auf ihren Vorderveranden zusammen; die meisten von ihnen tragen noch Pyjamas oder Bademäntel, um mit müden, aber weit aufgerissenen Augen zuzuschauen, wie gebannt von dem Drama, das sich vor ihrer Nase entfaltet.
    »Für sie ist es die reinste Unterhaltung«, sage ich

Weitere Kostenlose Bücher