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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
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nicht allzu viel.«
    »Wie viel ist ›nicht allzu viel‹?«
    Topher räuspert sich und vermeidet es, jemanden anzusehen. »Ich bin zum Geldautomaten gegangen. Ich habe so viel abgehoben, wie ich konnte. Siebenhundert Dollar.« Er hält inne. »Richie wollte noch mehr.«
    Nicole presst sich eine Hand gegen die Stirn. Sie umklammert den Arm meines Vaters. »Mein Gott«, murmelt sie. »Wir haben ihn jeden Tag gesehen. Wir kennen seine Familie. Er ist wie ein Sohn für uns.« Sie blickt Joe an. »Dass er Liz wehgetan haben soll, ist undenkbar. Ich kenne diesen Jungen bereits, seit er ein Kleinkind war. Er war praktisch jeden Tag bei uns im Haus.«
    Nicole hat recht. Ich schließe die Augen, versuche, mich zu erinnern. Dabei berühre ich Alex nicht. Ich will in der Küche mit meiner Familie allein sein, mit Richie – der zur Familie gehörte –, um Zeugin einer Zeit zu werden, in der wir alle glücklich waren. Doch allmählich habe ich den Eindruck, dass das unmöglich ist.
     
    Als ich meine Augen öffne, sehe ich draußen vor dem Küchenfenster dichten Schneefall. Durch die offene Tür zum Wohnzimmer bemerke ich einen großen Tannenbaum, geschmückt mit glitzernden weißen Lichtern und Dutzenden Kugeln und Sternen. Meine Familie mag nicht religiös sein, aber Weihnachten war in unserem Haus immer eine große Sache. Josie und ich bekamen stets Berge von Geschenken; wir erstellten Wunschlisten der Dinge, die wir haben wollten, und es kam nur sehr selten vor, dass wir nicht alles davon bekamen. Wie ich bereits sagte, schlug mein Vater uns nichts ab, und Nicole schien nie ein Problem damit zu haben, mich und Josie zu verwöhnen – aber insbesondere mich.
    Ich bin siebzehn, in der elften Klasse der Highschool. Das weiß ich, weil vor mir auf dem Küchentisch ein Buch mit Schüler-Erläuterungen zu Othello liegt; in der Elften haben wir Shakespeare durchgenommen.
    Obgleich es noch so früh am Morgen ist – die Uhr am Herd zeigt 7:48 Uhr an –, sind meine Wangen unter dem Make-up auf natürliche Weise gerötet, meine Augen groß und wachsam. Vermutlich bin ich um fünf Uhr aufgestanden, um laufen zu gehen. Ich habe es immer genossen, im Schnee zu laufen, zu spüren, wie mein Atem in dampfenden Schwaden meinen Körper verlässt, das Gleichgewicht zwischen Körperwärme und kalter Luft zu finden, das mich wie eine schweißnasse, warme Decke einhüllt.
    Josie steht am Herd, mit dem Rücken zu mir. Sie kocht; auf zweien der Brenner stehen Gusseisenpfannen, die zischen, während sie umrührt. Sie hat immer gern gekocht.
    Die Küchentür öffnet sich mit einem flüchtigen Klopfen, und Richie betritt den Raum. Obwohl er nur ein paar Häuser weiter wohnt, trägt er einen dicken Wintermantel. Um seinen Hals ist ein schwarz-grauer Schal mit Karomuster geschlungen; Handschuhe bedecken seine Hände. Das Einzige, was fehlt, ist eine Mütze; seine Locken sind voller noch gefrorener Schneeflocken. Er sieht hinreißend aus.
    »Guten Morgen«, sagt er und grinst mich an, während ich am Tisch sitze. Er streift seine Winterstiefel mit den Füßen ab und stellt sie auf den kleinen Orientteppich gleich neben der Tür. Dann kommt er zu mir herüber, beugt sich nach unten und küsst mich auf den Scheitel.
    Ich strahle zu ihm empor. »Morgen.«
    Nicole steht am Kühlschrank, dessen Tür geöffnet ist, und besieht sich den Inhalt. Sie trägt noch ihre Nachtwäsche, was nicht viel ist: Unter dem cremefarbenen Satinmorgenmantel, der ihr bis zur Mitte der Oberschenkel reicht, lugt ein kurzes weißes Nachthemd hervor. Ihre Beine sind durchtrainiert und tiefbraun, obwohl es Winter ist; wenn sie nicht draußen in der Sonne liegen kann, verwendet sie einen teuren Selbstbräuner, der ihrem gesamten Körper einen natürlich wirkenden Glanz verleiht.
    Richie setzt sich neben mich an den Tisch. Ich beobachte uns voller Verlangen und tiefem Bedauern, als sich mein lebendes Selbst zu ihm beugt und ihn innig auf die Lippen küsst.
    »Du bist ganz kalt«, kichere ich und ziehe mich zurück. »Wie viel Schnee ist jetzt da draußen?«
    Bevor er antworten kann, betritt mein Vater den Raum. Er trägt einen Anzug, komplett mit schwarzrot gestreiften Hosenträgern, die sich über seinem großen Bauch spannen, das Sakko über die Schulter geschlungen. »Jedenfalls genug, dass die Schule ausfällt«, sagt mein Dad. Er geht zu Nicole hinüber, legt einen Arm um ihre Taille und gibt ihr einen Kuss auf die Wange.
    Die Dinge waren vielleicht nicht perfekt, aber wir

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