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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
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meine Freunde zu mir gesagt«, erklärt er. »Das haben sie mir ständig gesagt. Beide Male, als bei der Arbeit mein Fahrrad geklaut wurde, sagten sie mir, dass die Leute in der Erwachsenenwelt anders sind. Immer wenn ich allein aß, um deiner Clique zu entgehen, versicherten sie mir, dass das ›wahre Leben‹ besser wäre.«
    Ich fächele mir mit der Hand Luft zu. Natürlich bringt das nichts. Doch zum ersten Mal bin ich dankbar dafür, meine Stiefel zu tragen; um nichts in der Welt würde ich barfuß auf diesem Teppich stehen wollen. »Nun, vielleicht haben sie recht«, sage ich. »Wir waren noch Kinder. Es wäre besser geworden.« Doch als ich spreche, liegt keine Überzeugung in meiner Stimme. Es war hart für Alex, und zwar zum Teil wegen Leuten wie mir und meinen Freunden. Ich weiß das.
    »Richtig«, sagt er. »Bloß, dass ich stattdessen gestorben bin. Und jetzt bin ich hier und sitze auf unabsehbare Zeit mit dir zusammen fest. Die Dinge sind nicht besser geworden.«
    Ich schaue ihn an. »Es hätte alles wesentlich schlimmer sein können. Man hätte dich behandeln können wie Frank Wainscott. «
    Er starrt zurück. »Du hast recht. Das weiß ich.«
    Bevor ich noch irgendetwas anderes sagen kann, schwingt die Schlafzimmertür auf. Ungeachtet seiner Behauptung, sich vor dem Öffnen der Wohnungstür erst anziehen zu müssen, hat sich Vince nicht die Zeit genommen, sich eine Hose überzustreifen.
    Schlagartig erkenne ich ihn, mit solch schmerzhafter Gewissheit, dass ich spüre, wie mein gesamter Körper erschlafft. Meine Knie geben nach. Würde mein Herz noch schlagen, würde es jetzt rasen. Vince Aiello. Wie konnte ich diesen Mann nur vergessen? Und warum kann ich mich nicht daran erinnern, was er mir angetan hat?
    Er ist ein kräftiger Bursche, gebaut wie ein Holzfäller, fett um die Mitte, von ansonsten stämmiger Statur und mit von Tattoos übersäten Armen. Er trägt fleckige weiße Boxershorts und sonst nichts. Als er die Tür öffnet, steckt bereits eine brennende Zigarette zwischen seinen Zähnen.
    Joe nimmt sich einen langen Moment Zeit, um ihn von oben bis unten zu mustern. »Ich dachte, Sie wollten sich eine Hose anziehen.«
    Vince zuckt die Schultern. »Meine Wohnung, meine Regeln. «
    »Vince Aiello?«
    Vince fährt sich mit einer Hand durch sein dichtes, fettiges schwarzes Haar. »Ja.«
    »Darf ich reinkommen?«
    Er verschränkt die Arme und kneift die Augen zu Schlitzen zusammen. »Sind Sie ’n Bulle?«
    »Ja.« Joe zeigt ihm seine Marke.
    »Ich habe nichts getan.«
    »Dann macht es Ihnen doch gewiss nichts aus, wenn …«
    »Ja, ja, ja. Sicher. Kommen Sie rein.«
    Vince geht in die Küche und kratzt sich am Hintern, während er vor Joe her schlurft. Er macht den Kühlschrank auf und durchstöbert den Inhalt. Ich verspüre einen schmerzhaften Stich, als ich feststelle, dass der Kühlschrank dieses Mannes besser gefüllt ist als Richies. Dann wird mir bewusst, dass mein Freund jeden Augenblick hier auftauchen könnte. Wo sollte er sonst hingehen? Er hat keinen Wagen, aber er hat eine Waffe, und Topher sagte, er wolle Vince umbringen. All unsere Freunde sind in der Schule, deshalb kann er nicht zu ihnen nach Hause. Ich will nur eines: dass er in Sicherheit ist, dass er dem Schlamassel entkommt, der mein Leben war.
    Vince zieht die Lasche eines Energydrink auf und setzt sich auf die Couch. »Lassen Sie mich raten«, sagt er. »Sie sind hier wegen Elizabeth Valchar.«
    Joe wirkt überrascht. »Dann kannten Sie sie?«
    »Klar kannte ich sie. Sie war meine Freundin. Wir waren fast ein Jahr zusammen.« Er nimmt einen langen Schluck von seinem Getränk. »Das, was ihr passiert ist, hat mich echt mitgenommen. Sie war eine Schönheit, wissen Sie. Ein richtiger Kracher.«
    Joe räuspert sich und sieht sich in dem Apartment um. »Ich möchte nicht unhöflich sein«, sagt er, »aber es fällt mir schwer zu glauben, dass Sie beide ein Paar waren.«
    »Mir auch.« Alex schüttelt den Kopf und lächelt mich an. »Und du bist ständig hierhergekommen, richtig? Du? Hierher? Was hätten wohl deine Freunde dazu gesagt?«
    Ich schließe meine Augen. »Das kann ich mir nicht einmal vorstellen.«
    »Ich ebenso wenig.« Und bevor ich die Chance habe, irgendetwas anderes zu sagen, fügt er hinzu: »Übrigens, denk nicht mal daran, jetzt zu verschwinden. Das hier dürfen wir auf keinen Fall verpassen.«
     
    Die Erinnerung saugt mich in sich hinein wie Schmiere, die durch ein Sieb rinnt; ich kann es nicht verhindern, ich

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