Manche Maedchen raechen sich
Problembewältigung.
Ich musste an den Tag denken, an dem ich meine Eltern das erste Mal streiten gehört hatte. Ich war fünf gewesen und hatte genau an derselben Stelle gestanden wie jetzt. Damals hatte meine Mutter zu trinken angefangen. Damals war mein Vater immer seltener nach Hause gekommen, bis er eines Tages überhaupt nicht mehr kam.
„Die Kleine braucht ihre Mutter mehr als ihren Vater“, hatte er zu ihr gesagt.
Wenn Dad sich doch nur ein bisschen mehr für mich ins Zeug gelegt hätte! Dann wäre ich jetzt vielleicht bei ihm und würde nicht hier hocken. Wäre Mum doch nur nicht so ein Miststück und hätte ihn aus dem Haus getrieben! Sie hat ihm ja gar keine andere Wahl gelassen als abzuhauen. Und dabei hatte er überhaupt nichts getan!
Tja, und nun hat mein Vater eine neue Frau und eine neue Familie irgendwo in Amerika. Dass wir mal eine Familie waren, ist längst Schnee von gestern, und wahrscheinlich hat es wenig Sinn, die alten Geschichten wieder und wieder durchzukauen. Am besten wäre es wahrscheinlich, überhaupt nicht mehr daran zu denken.
Von meinem Zimmer aus kann man das Meer sehen. Mein Zimmer ist der höchste Punkt in East Rivermoor. Ich stellte mir vor, dass ich einfach nur aus dem Fenster springen müsste, um endlich frei zu sein. Aus dieser Höhe würde ich mir alle Knochen brechen. Bei dem Gedanken fühlte ich mich besser.
Der Inhalt der Schachtel entpuppte sich als Teriyaki-Hähnchen. Es gab weder Reis noch Stäbchen dazu, aber das war mir egal. Ich setzte mich aufs Fensterbrett, aß das Hähnchen mit den Fingern und sinnierte übers Leben. Ließ mir den eisigen Wind um die Nase wehen, bis mein Gesicht taub wurde.
Die Vorstellung, am nächsten Tag meiner Mutter gegenüberzutreten, gefiel mir überhaupt nicht. Ich hätte mir keine Sorgen machen müssen. Sie nahm sich für eine Woche ein Hotelzimmer in der Stadt, angeblich weil sie einen schwierigen Fall übernommen hatte und vor Ort sein musste. Wir wussten beide, dass das nur die halbe Wahrheit war. Als sie wieder nach Hause kam, hatten wir uns beruhigt und den Streit einigermaßen verdaut. Davon abgesehen war sie ja auch sonst so gut wie nie da.
fünf
Ich wache auf dem Polizeirevier au f – in Dr . Faddens Büro. Blinzelnd öffne ich die Augen und erhebe mich schwerfällig von der hässlichen braunen Velourscouch. Es dämmert bereits, aber ich kann hinter dem vergitterten Fenster noch die schwache Silhouette des Mondes erkennen. Der Anblick jagt mir einen Schauer über den Rücken.
Plötzlich höre ich ein Räuspern und drehe mich um. Die Tür des Billig-Büroschranks steht offen. Und mitten im dunklen Raum steht Dr . Fadden in frischen Klamotten und bindet sich eine Krawatte. Genauer gesagt versucht er, sich eine Krawatte zu binden.
„Kommen Sie, lassen Sie mich das machen“, sage ich und schiebe seine Hände weg. Ich muss mich auf die Zehenspitzen stellen. Es ist ziemlich schwierig, das Gleichgewicht zu halten, wenn man gerade erst aufgestanden ist und am Abend zuvor nichts als Kohlenhydrate zu sich genommen hat. Aber der Knoten ist perfek t – genau wie mein sogenanntes Leben.
„Sehen Sie? Sich für Mode zu interessieren, ist doch zu was nütze. Ich werde bestimmt mal eine sehr brauchbare Ehefrau.“
„Danke“, erwidert Dr . Fadden, klingt aber wenig überzeugt.
„Schauen Sie doch nur! Sie können richtig toll aussehen, wenn Sie sich ein bisschen Mühe geben.“
Er antwortet mir nicht und ich spiele nervös mit seiner Krawatte.
„Sie sehen aus wie mein Freund Neil“, rutscht es mir heraus und ich bedauere es im nächsten Moment.
Dr . Faddens Finger wandern über den Schreibtisch zu seinem Notizbuch. Als der flackernde Computerbildschirm sein Gesicht in der Dunkelheit erleuchtet, denke ich plötzlich nur noch: Er wird mich im Stich lassen, genau wie all die anderen.
Ich drehe ihm den Rücken zu und reiße mir den widerlichen Mantel vom Leib. Das getrocknete Blut auf meiner Bluse ist inzwischen fast schwarz.
Nachdem es passiert war, gingen wir zurück zu mir nach Hause. Ich wollte nur noch ins Bett. Ich wollte nicht mal duschen. Das Einzige, was jetzt zählte, war Lexi. Sie lag neben mir und schlief ganz friedlich. Es sah aus, als wollte sie die Spuren der Tat diesmal nicht um jeden Preis abwaschen, als wollte sie sie dieses Mal stolz zur Schau tragen wie Narben aus einem Kampf. Wie eine Trophäe.
„Warum haben Sie sich denn so chic gemacht? Haben Sie eine Verabredung zum Mittagessen?“
„Ich treffe
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