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Manchmal ist das Leben echt zum Kotzen - Wie ich meine Essstörung besiegte

Manchmal ist das Leben echt zum Kotzen - Wie ich meine Essstörung besiegte

Titel: Manchmal ist das Leben echt zum Kotzen - Wie ich meine Essstörung besiegte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Federlein
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schließlich kennen die beiden sich ja. Was für `ne Schnaps-Idee mir einen Therapeuten zu suchen, der meine Mutter kennt!! Wo alles halbwegs lief, war mir das egal! Aber jetzt, wo ich doch wieder in die Heimlichkeit abtauche, hätt ich doch gern einen Arzt, dem ich vertrauen kann! Also kann ich mich da nicht aussprechen und ansonsten will ich das nicht sagen. Ich will nicht, dass mir jemand das Kotzen verbietet. Ich steck wieder voll drin und weiß, wie ich mich selber verarsche, aber ich kann einfach nicht mehr.
    Nur der Kreislauf ist fatal! Ich fress und kotz, fühl mich dann schuldig, weswegen ich dann erst recht Fressdruck bekomme und mich dann noch mehr hasse, weil ich so schwach bin!!!
     
     
    10.06. 1998
     
    Es wird immer schlimmer, ich fühl mich total beschissen - ich brauch Hilfe!
     
     
    13.06. 1998
     
    Ich hab`s wieder getan, obwohl ich gestern einen echt guten Tag hatte! Ich fühl mich so schlecht, Versagerin!!! Ich kann nicht mehr in den Spiegel sehen, mir in die Augen sehen, ich lüge, betrüge, verarsche mich und alle anderen, ich fühl mich schmutzig, hilflos... aber ich hab einfach nicht die Kraft, dem entgegenzutreten! Ich lasse mich immer wieder herunterziehen und mein Entschluss „ab jetzt kotz ich nicht mehr“ ist doch nur Lüge! Ich will doch leben und nicht meinen Kopf in die Kloschüssel hängen! Ich fühl mich so falsch, weil ich allen so ins Gesicht lüge! Hauptsache nach außen so tun, als wär alles prima! Schaut her, sie isst wieder ganz normal! Toll, wie sie das schafft!!! Und es ist doch auch so einfach! Kein ständiges Kontrollieren der Mengen mehr, die ich esse, einfach mal mich hingeben, genießen... und dann alles wieder raus, als wär nie was geschehen. Und mein Gewicht bleibt gleich, obwohl ich da schon aufpassen muss, wenn ich alles raus kotze, dann nehm ich zu schnell ab.
    Aber ich kann damit nicht zu irgendeinem gehen, es ist mein Geheimnis, viele Leute haben Geheimnisse, warum soll ausgerechnet ich immer alles sagen? Es ist mein Leben und fertig.
     
     
    Ich denke, diese Gedanken waren Selbstschutz, sonst hätt ich mich selbst zerfleischt. Irgendwann erkennt man, dass man es nicht mehr unter Kontrolle hat, ist aber nicht an dem Punkt, wo man seine Sucht aufgeben will. Um sich selber dann überhaupt noch zu ertragen, redet man sich Dinge ein, dass es ja schon ok wäre, noch gar nicht so schlimm usw.
    Wobei zu dem Zeitpunkt alles noch reichlich harmlos war, vielleicht zweimal die Woche einen Fressanfall, mehr war es nicht! Aber das ist der Anfang gewesen, damals hab ich meine Gefühle von Abscheu, Ekel vor mir selber, die Enttäuschung über meinen brutalen Rückfall, mein Versagen, noch deutlich gespürt - später hab ich all diese Gefühle zusammen mit Bergen von Essen dann so gekonnt runtergespült, dass ich das gar nicht mehr so gespürt habe. Fressen und Kotzen wurde später so zum Alltag und das ging nur, indem ich lernte, diese Emotionen, diese Schuld einfach zu verdrängen... (Fressen und Kotzen half da sehr gut!)
     
    Ich war selber beim Lesen meines Tagebuchs erstaunt, dass ich doch schon so früh bereits wieder angefangen hatte, rückfällig zu werden, ohne mich jemandem anzuvertrauen. Irgendwie hatte ich dieses Jahr immer so als relativ ruhig, was mein Essverhalten anging, in Erinnerung!
    Ich ging in die Schule und da lief alles wirklich gut, die Fächer, mit denen ich nicht klar kam, wählte ich ab und trotz einiger Überlegungen, ob es nicht doch besser wäre, arbeiten zu gehen anstatt die Schule zu machen, blieb ich auf dem Gymnasium, um mein Abi zu machen.
     
    Sehr viel mehr passiert in dem Jahr trotzdem nicht. Das mit dem Kotzen blieb, aber noch lang nicht in dem Maße, wie es dann später sein sollte. Ich versuchte mich aus allem rauszuhalten, keine Party am Wochenende, keine komischen Leute und solange ich dabei blieb, hat es auch recht gut geklappt.
    Im Sommer bin ich ganz alleine in den Urlaub gefahren, irgendwie hatte mich die Krankheit auch damals schon recht einsam gemacht. Ich wollte keine Nähe zu Anderen und Freundschaften blieben unverbindlich. Ich verzog mich immer weiter in mein Schneckenhaus, aus Angst, zu viel Weggehen und Party oder Freunde könnte mir schaden. Was für die erste Zeit wohltuend war, wurde aber gerade dann zum Problem, denn die lange Isolation und Einsamkeit trieben mich später erst recht zum genauen Gegenteil. Nur Eines blieb und bleibt auch heute gleich: Die Angst vor Nähe!
    Solange Freundschaften schön

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