Mandels Buero
die neuen Lieder, da sind ja auch so ein paar Rohrkrepierer dabei. Kannst du dir stellenweise nicht anhören.«
Man merkte, dass der Tilmann aufgekratzt war, die Sätze flossen regelrecht ineinander, schnell und unausgeglichen in der Sprachmelodie. Das war wohl nicht sein erster Abstecher in die Umkleidekabine. Der Tilmann hackte mit der Karte von seiner Krankenkasse das Pulver auseinander und drückte dem Mandel dann einen zusammengerollten Fünfziger in die Hand.
»Bitte sehr! Lass dir schmecken«, lachte der Tilmann.
Der Mandel nahm eine Prise Kokain zu sich und musste niesen.
»Gesundheit!«, wünschte der Tilmann und redete weiter über das Konzert und wie er den Musikermanieren seiner Kollegen entschlossen entgegentreten würde. Und wie er im Zugabenteil die alten, rebellischen DEMO wieder heraufbeschwören würde, welche Songs er wieder ausgegraben hatte und dass sie das erste Mal seit Jahren »Totengräber« spielen würden.
»Wir haben in den letzten Jahren diesen Zwang verloren, der uns ausgemacht hat, Max. Den Zwang, die Umstände zu verändern. Sich gegen die Umstände zu wehren. Das war der Druck, den wir früher hatten. Das steckt in den alten Songs drinnen. Und ich fühle das jetzt wieder. So, als wäre ich wieder fünfundzwanzig. Es brennt wieder, Max.«
»Ja, sehr schön«, sagte der Mandel. »Das klingt doch gut.«
»Und ich hab noch viel mehr vor. Was ich dir jetzt sage, muss unbedingt unter uns bleiben. Um jeden Preis, sonst steinigen die anderen mich. Kann ich mich auf dich verlassen, Max?«
»Auf jeden Fall«, sagte der Mandel und musste noch einmal niesen.
»Ich mach ein Soloalbum. Fuck yeah , ich mach ein Soloalbum. Ich erfinde den neuen Leo Tilmann. Der alte ist tot. Tot, sag ich dir. Nur noch diese Tour, und dann ist Schluss mit DEMO und dem alten Leo Tilmann. Schluss mit diesem Schwachsinn. Mit den Schulfreunden im Bus durch die Gegend fahren und im Proberaum neue Songs ausprobieren, so, als wären wir immer noch in Everswinkel, das pack ich nicht mehr. Ich hab diese Bandscheiße satt. Max, ich sag dir, wir machen da ein Riesending draus. Das wird die Rückkehr zu meinen politischen Wurzeln. Ich hab ein paar Texte auf Tasche, da werden sich einige Leute ganz schön auf den Schlips getreten fühlen. Ich bin der deutsche Bob Dylan, Alter. Deutschland braucht wieder Protestmusik. Ich muss das nur noch mit dem Urbaniak absprechen, aber mit deiner Story lassen wir die Bombe platzen.«
»Welche Bombe meinst du?«, schniefte der Mandel, dem das Kokain nicht bekommen war.
»Na, das Soloalbum. Die Texte. Den Skandal.«
Das mag jetzt nur meine Meinung sein, aber schon damals, und im Nachhinein erst recht, fand ich das Tamtam um sein Soloalbum völlig übertrieben, ja hysterisch. Mein Gott, dann nahm er nach fünfzehn Jahren halt mal alleine ein Album auf. In spätestens drei Jahren würde sowieso wieder die große DEMO -Reunion passieren. Welche Band löst sich denn heutzutage noch ernsthaft auf Dauer auf?
»Max, geht’s dir gut?«, fragte der Tilmann den Mandel besorgt, weil dem Mandel die Augen tränten.
»Alles gut«, sagte der Mandel und musste noch einmal laut niesen.
»Dann gehen wir mal wieder hoch, ich muss gleich zum Soundcheck«, sagte der Tilmann.
»Moment. Da muss ich jetzt mal nachhaken«, sagte der Mandel unter Tränen, weil ihm die Frage schon lange auf den Nägeln brannte, er aber nie den passenden Moment in Interviews gefunden hatte.
»Warum macht eine Band wie ihr eigentlich noch Soundcheck? Ihr habt die teuersten Roadies des Landes und die beste Technik, und dann stellt ihr euch immer noch Stunden vorher auf die Bühne und macht Soundcheck. Wär es nicht viel entspannter, ihr treibt euch ein wenig in der Stadt rum, trinkt ein Bier zusammen, tut, was ihr wollt, und kommt dann pünktlich zum Konzertbeginn mit Paukenschlag auf die Bühne? Dann müsstet ihr auch nicht schon immer nachmittags vor Ort sein. Und es wäre doch auch spannender, den Konzertsaal das erste Mal zu sehen, wenn er schon proppenvoll ist, oder?«
»Genau meine Rede, Max, meine Rede. Das predige ich doch seit Jahren. Aber die Berufsmusiker in meiner tollen Band bestehen drauf. Müssen sich eingewöhnen. Warmspielen, akklimatisieren, blablabla. Ein Haufen Bullshit ist das. Aber was willst du machen.«
»Ein Soloalbum«, sagte der Mandel.
»Der war gut«, schrie der Tilmann und haute dem Mandel ziemlich hart auf die Schulter. Der Mandel musste gleich noch mal niesen.
Vermutlich zur gleichen Zeit
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