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Mandels Buero

Mandels Buero

Titel: Mandels Buero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berni Mayer
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von DEMO wieder lauter. Beim Rausgehen hörte ich den Tilmann noch singen.
    Kauf dich frei, ich kauf dich ein,
    Mach dich zur lebenden Legende.
    Ich lass dich nicht sein Spielzeug sein.
    Geh jetzt noch nicht, geh noch nicht heim
    In der Abendausgabe stand nichts von der gestohlenen Leiche vom Edelstein. Und auch nichts Neues vom Mordfall Tilmann. Mich wunderte es sowieso, wie die Polizei in dieser Stadt bis zu achtzig Prozent aller Morde aufklären konnte. Wenn ich jemand umbrächte, ich würde mir nicht so leicht draufkommen lassen. Jeder, der mal ein paar Krimis gelesen hat, kennt doch die »Don’ts« als Mörder. Tatort säubern, Leiche ordentlich beseitigen, nicht in der Nachbarschaft Leute umbringen und vor allem nicht im eigenen Bekanntenkreis oder in der Familie, da erwischen sie dich immer. Aber wer weiß, vielleicht war die Bevölkerung für einen guten Mord auch zu ungebildet. Oder der Winter war wirklich so ein Höllenhund von einem Kriminalisten und klärte einfach alles auf, was reinkam. Ich ließ die Zeitung in der U-Bahn liegen und ging den halben Kilometer bis zu meiner Wohnung. Als ich unten am Hauseingang stand, überlegte ich es mir anders und ging in den Supermarkt um die Ecke. Nicht, um einzukaufen, eher um ein bisschen zu schauen. Manchmal verirrte sich eine interessante Frau in den Supermarkt. Vor ein paar Wochen war eine mit einem Kleinkind da gewesen, und sie hatte einen weißen Strickmantel angehabt. Ganz dunkle Haare und so ein majestätisch gefasstes Auftreten. Wie sie mit dem Kleinkind geredet hat, mit so einer tranquilen Grundstimmung, das hat mich gleich mit der Welt versöhnt. Ich stand dann hinter ihr an der Kasse und habe mir nur deshalb zwei Fertig-Grießpudding gekauft, damit ich einen Grund hatte, hinter ihr an der Kasse zu stehen. Als sie den Warentrenner auf das Band gelegt hat, lächelte sie mir kurz zu. Mir ist aber kein Gesprächsthema eingefallen.
    Heute war die Frau leider nicht da, und auch sonst nur unangenehme Leute im Supermarkt. Solche, wo man vermuten könnte, dass sie lieber im Feinkost einkaufen, aber weil der Feinkost schon zuhat, lassen sie sich noch auf einen Besuch bei Kaiser’s herab und sind dementsprechend schlecht aufgelegt. Draußen vor dem Supermarkt schmiss ich den Grießpudding weg, weil mir eh nicht nach Grießbrei war. Ich überlegte, ob ich jetzt nach Hause gehen sollte. Meine Wohnung gehörte einer anderen Zeitrechnung an. Alles um mich herum war sonderbar irreal geworden. Die so lange herbeigesehnten Veränderungen waren in markerschütternde Brutalität umgeschlagen, und auch meine Situation mit Frauen hatte sich verschlimmert. Wer hätte das gedacht nach dem Drama mit Maria. Und dann gab es ja auch ein berufliches Dilemma. Das Ermittlungsbüro würden wir schließen, aber ich wollte auch nicht mehr schreiben. Zumindest nicht mehr über Musik. Weil das auch kein seriöser Beruf war. Wie konnte jemand überhaupt über Musik schreiben, mit so einer überheblichen Gewissheit, dass man sie besser und genauer hört als der Rest der Leute? Beim Fußball oder beim Libretto in der dritten »Handlung« von Schuberts Lazarus ist das etwas anderes. Da gibt es sicher den einen oder anderen Kommentator oder Journalisten, der sich besser auskennt als ich selbst. Die mir beibringen, worauf ich achten soll, wo die Kunst genau liegt. Aber bei populärer Musik, das ist doch nur eine Nabelschau der Musikjournalisten. Wer macht das beste Wortspiel, und wer hat die besten Referenzen. Und es kommen ständig solche Stilblüten zusammen wie: »Ihr aktuelles Album klingt, als träfen sich Belle & Sebastian mit Manowar auf einen Fünf-Uhr-Tee in Pans Labyrinth und leihen sich den Zucker für den Earl Grey von Jeff Buckley.« Ich sag jetzt nicht, wer das geschrieben hat.
    In meiner Wohnung machte ich mir einen Rotwein aus Venezien auf, ein unappetitliches Zeug, das mir der Mandel zum Geburtstag geschenkt hatte. Ich schaltete den Fernseher ein, und irgendjemand hatte wohl in kürzester Zeit eine aktuelle Dokumentation über den Tilmann und die Band fertiggestellt, weil mit einem frühzeitigen Tod vom Tilmann war ja nicht zu rechnen gewesen. Das war kein vorproduzierter Nachruf, wie ihn die Sender gerne bei älteren Politikern im Giftschrank haben. Eine alte Live-Aufnahme zeigte den Tilmann nach einem Auftritt, wie er den Kai Bartels und den Schredder umarmte. Alle in Schweiß gebadet und in einer Herzlichkeit, die alles zusammenhielt, das konnte man sehen. Selbst diese

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