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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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Gleichgültigkeit gegenüber moderner Literatur außer James Jones,
seine willige Bereitschaft, einen anständigen Anteil an den Rechnungen zu übernehmen,
sowie sein Vorrat an guten Witzen hatten ihm einen Platz an diesem
sinnbildlichen Lagerfeuer gesichert, an jenem Ritual, das so alt ist wie die
menschliche Gesellschaft: wenn die Männer sich um die Flammen zusammenhocken
und die Jagdgeschichten des Tages erzählen.
    An diesem Abend hielt Sean McGuire vor einem kleinen Sub-Clan an der
Peripherie der Hauptgruppe hof. Er und die Seinen waren zwar anders gekleidet
als die meisten und trugen karierte Hemden und Cordjacken statt Sportjacketts
und gelockerten Krawatten, doch man tolerierte sie wegen McGuires betontem
Keltizismus und seines frischen literarischen Ruhms. Er war so etwas wie eine
Kuriosität unter den Stammgästen des P. J., dieser Lieferant von »Prosaistik«
oder »Jazzistik« oder von »Maschinegeschriebenem«, je nachdem, wer es gerade
beschrieb, und alle wollten einen Blick auf ihn erhaschen und vielleicht seiner
berühmten verbalen Brillanz lauschen, bevor er bald — was alle für
unvermeidlich hielten — sein Pulver verschossen hatte.
    Es gab also hier ein wissendes Lächeln und da ein Nicken zur
Begrüßung, als Walter eintrat, einen Drink bestellte und einen Whiskey
berühmter Provenienz und mit einem achtunggebietenden Alter bekam, um dann zum
Rand von McGuires Sphäre hinüberzuschlendern.
    McGuire hob seinen Krug mit dunklem Guinness, als er Walter entdeckte,
führte ihn an die Lippen und nahm einen langen, nachlässigen Schluck, bevor er
für die Zuhörer in nah und fern loslegte: »Es ist Silvester, eine letzte Chance
für jeden Adam und jede Eva, dem stickigen Garten Eden und dem väterlich
strengen Blick Gottes zu entfliehen! >Aus dem Garten Eden vertrieben<,
Teufel auch! Wir sollten rennen, um unser Leben rennen, hinaus in die
Dunkelheit und die undurchdringlichen Wälder unserer Seele, um unsere wahre
Natur zu finden, was soll's, was zum Teufel, ich bin betrunken. Betrunken vor
Alkohol, vor Freude, vor Kummer, vor Wut, vor Leben. Habt ihr
je an einem sonnigen Tag in einer Indianerreservation in South Dakota einen
Blitz hinter einer mächtigen Wolke aufleuchten sehen? Ich habe es, und das ist
der wahre Gott, Mann. Das ist real.«
    »Haben Sie an einem bewölkten Tag in New York neben Ihrer
Schreibmaschine je ein Exemplar von Strunk and White gesehen?« hörte Walter
jemanden hinter sich sagen. Gefolgt von Gelächter.
    McGuire sagte, diesmal ein wenig lauter. »Die Zugpferde hassen die
Mustangs! Sie hassen sie für das, was sie hätten sein können, wenn sie den Mumm
gehabt hätten, auf den Horizont zuzulaufen.«
    Jimmy Keneally bahnte sich einen Weg durch die Menge und setzte sich
neben Walter.
    »Sie haben etwas für mich, Withers?« fragte Jimmy.
    »Meine herzlichsten Wünsche für ein wundervolles neues Jahr«,
erwiderte Walter.
    »Das ist alles?«
    »Die tiefe Hoffnung, daß man Lyndon Johnson im Menger Hotel mit einer
jungen Ziege erwischt?« fragte Walter.
    »Wir können Ihnen das Leben sehr schwer machen«, drohte Keneally.
    Walter drehte sich um und sah ihn an. Diesmal hatte Jimmy Keneally
sein Hinterzimmer-Gesicht aufgesetzt. Ein tödlich ernster Ausdruck, nun ja...
ein tödlicher Ausdruck.
    »Das können Sie ohne Zweifel«, gab Walter zurück.
    »Ich meine es ernst.«
    »Das weiß ich«, sagte Walter. »Und wahrscheinlich können Sie auch
Cerberus auf mich hetzen und mir diese Aktentasche abnehmen. Aber Sie werden
es nicht hier bei P.J. Clarke's tun. Warum setzen Sie sich also nicht einfach
und trinken etwas? Hatten Sie übrigens schon Gelegenheit, zu Abend zu essen?
Die Cheeseburger hier sind großartig. Mein Leibgericht.«
    »Sie sind ein cleverer Scheißkerl, Withers.«
    »Stimmt.«
    »Aber das bin ich auch«, erwiderte Jimmy. »Und ich habe sehr viel mehr
im Rücken als Sie.«
    McGuire leerte den Krug und hielt ihn dann zum Zeichen dafür hoch, daß
irgendein Bewunderer ihm einen neuen besorgen sollte. Es war kein solcher
Bewunderer, sondern ein Kerl, den Walter als einen Redakteur von Time erkannte,
der aufstand und McGuire ein frisches Bier besorgte, um ihn zu weiterem
betrunkenem Geschwafel zu ermuntern. Das wäre eine erzählenswerte Geschichte,
vielleicht würde sogar ein Lunch dabei herausspringen, eine Geschichte darüber,
wie der neue literarische Salonlöwe bei P.J. Clarke's sich nicht nur verbal
erbrach, sondern auch noch das Lokal vollkotzte.
    Madsen kam herein.

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