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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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erwarte, daß sie dich am Leben erhalten werden, Michael. Sie
werden dich jahrelang reden lassen«, sagte Walter. »Ich stelle mir eine kleine
Zelle irgendwo in einem Keller vor, eine kleine Elektroschock-Therapie von Zeit
zu Zeit, um dein Gedächtnis anzuregen ... eine Art Vorhölle zur Hölle.«
    Morrison blickte hoch und spie: »Vielleicht werde ich dort Anne
sehen.«
    Walter zuckte die Schultern und gab Morrison mit der Pistole zu
verstehen, daß er aufstehen sollte. Er führte ihn behutsam vom Boot herunter
auf das Dock und ging dann mit ihm auf den Riverside Drive. Zwei
hochgewachsene, kräftige Männer stiegen aus der schwarzen Limousine aus,
packten Morrison und legten ihm Handschellen an.
    »Ich werde Anne von dir grüßen«, sagte Morrison.
    »Tu das«, erwiderte Walter. Ihre Blicke trafen sich für eine Sekunde,
bevor die Jungs der Firma Morrison eine schwarze Kapuze über den Kopf zogen und
ihn auf den Rücksitz stießen.
    Die vordere rechte Seitenscheibe ging herunter. 16 C steckte den Kopf
heraus und fragte: »Haben Sie angerufen?«
    »Da unten muß gründlich aufgeräumt werden«, sagte ihm Walter.
    16 C nickte. Walter wußte, daß es noch vor Sonnenaufgang keine
Leichen und kein Boot mehr geben würde. »Die Waffe«, sagte 16 C. »Bitte?«
    »Sie werden mir vermutlich die Waffe geben wollen.“
    »Ach ja, richtig. Hier.« Er reichte 16 C die Waffe.
»Wo ist sie?« fragte 16C.
    »Im Stanhope«, erwiderte Walter. »Werden Sie...«
    »Wir werden uns darum kümmern.«
    Die Seitenscheibe ging hoch, und der Wagen rollte
davon.
    Walter blieb ein paar Minuten auf dem Bürgersteig stehen und wartete
darauf, daß sich die Adrenalinschübe legten. Als es soweit war, bedauerte er
es, denn jetzt begann es im Hinterkopf wieder zu pochen, und sein linkes Auge
fühlte sich geschwollen und wund an. Die Rippen schmerzten, der Fußknöchel tat
ihm weh. Er wollte nur noch nach Hause, eine Zigarette rauchen und etwas
trinken und seinen geschundenen Körper in heißes Badewasser legen, während auf
der HiFi-Anlage ruhiger Jazz zu hören war.
    Doch aus irgendeinem Grund bewegte er sich nicht von der Stelle. Er
zog sein Zigarettenetui aus der Tasche, zündete eine Gauloise an, blieb in der
kalten Luft stehen, um über alles nachzudenken. Dann humpelte er auf die
Straße, hielt ein Taxi an und fuhr ins Büro.
    Er läutete an der Außenglocke und wartete ein paar Minuten, bis der
jüngste Mallon — Billy, nicht wahr? —, derjenige, der von der
Anwerber-Dienststelle der Marines als ein wenig zu klein und viel zu
gewalttätig abgelehnt worden war, an die Tür kam.
    »Mr. Withers?«
    »Derselbe.«
    »Sie sehen furchtbar aus, Mr. Withers. Haben Sie was vergessen?«
    »Nur ein paar Papiere.«
    »Kommen Sie doch rein. Draußen ist es so kalt.«
    »Ach, übrigens«, sagte Walter. »Ich danke Ihnen für das kleine
Ablenkungsmanöver heute.«
    »Machen Sie Witze, Mr. Withers?« sagte Billy Mallon. »Es hat mir Spaß
gemacht.«
    Spaß, dachte Walter. Ich werde wohl langsam alt.
    »Nun, sagen Sie Ihrem Vater, daß ich ihm danke.«
    »Sie können sich darauf verlassen.«
    Walter fuhr zu seinem Büro hinauf und stellte sich eine Zeitlang ans
Fenster, um hinauszusehen. Er genoß seine Teilaussicht auf Saks und St.
Patrick's, die jetzt spätabends beide still dalagen und von den Straßenlaternen
in weiches Licht getaucht wurden.
    Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch, nahm den Bericht über
Michael Howard aus dem Ausgangskorb und zerriß ihn. Dann schrieb er sorgfältig
das Aktenzeichen auf eine frisches Formular und tippte:
     
    Der Unterzeichnete hat die fragliche Person über einen längeren
Zeitraum hinweg beobachtet, darunter auch vom 24.12.1958 bis zum 29.12.1958.
Weder eine Hintergrund-Überprüfung noch persönliche Beobachtungen haben
irgendwelche negativen oder verdächtigen Informationen ergeben. Ich empfehle
die Sicherheitseinstufung als »kein erkennbares Risiko« (ich verweise auf
Memorandum 328-F vom 19. 3.55, etc.). Sollten wir Ihnen in dieser Angelegenheit
weiterhin dienlich sein können, zögern Sie bitte nicht, mit unserem Büro
Verbindung aufzunehmen.
     
    Weil Gott von mir am Ende des Tages, dachte er, zumindest den Versuch
zu etwas menschlichem Anstand erwartet.
    Er legte den neuen Bericht in den Ausgangskorb, rauchte noch eine
Zigarette und rief unten in der Halle an, um ein Taxi zu bestellen.
    Als er zu Hause war, legte er von Miles Davis Sketches
of Spain auf, ließ die Badewanne vollaufen und goß sich einen

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