Manhattan Blues
Zu
Füßen ein Sportbeutel. Weiße Buchstaben auf schwarzem Vinyl: » Ansonia Studios«.
Was immer das sein mag, dachte Walter. Aber zweifellos die Erklärung
für die Muskeln.
»Wie ist Ihr werter Name?« fragte Walter.
»Das geht Sie einen feuchten Dreck an.«
»Wie buchstabiert man das?«
Der junge Mann reckte den Mittelfinger in die Höhe: »So.«
»Und kennen Sie einen Howard Benson?«
»Nein.«
»Wie wär's mit Michael Howard?“
»Nein.«
Offene Menschen sind so schlechte Lügner, dachte Walter. Die anderen
Kleidungsstücke in Michael Howard Bensons Apartment würden dir wahrscheinlich
passen. Du hast einen Fehler gemacht, mein tapferer junger Freund. Einen bewundernswerten
Fehler, weil du einen guten Charakter hast, aber ein Fehler ist es trotzdem. Du
hättest dich für deinen Freund oder dich selbst nicht stark machen sollen. Du
hättest dich still verhalten und im Schatten bleiben sollen. Es hat immerhin
einen Grund, daß die Sünde sich nicht gern offen zu erkennen gibt. Wenn du
nicht so tapfer gewesen wärst, hätte ich es nicht erfahren. Ich wäre in der
Meinung weggegangen, daß der Nachmittag ein abartiger alkoholischer Fehlschlag
gewesen ist.
Aber da wir nun mal darin geschult sind, Täuschungsmanöver anderer zu
erkennen, haben anständige Leute so wenig Chancen wie der sprichwörtliche
Schneeball in der Hölle.
»Aha, verstehe«, sagte Walter.
»Jetzt verschwinden Sie.«
»Ich werde gehen, wenn ich fertig bin.«
»Ich denke, Sie sind schon jetzt fertig«, sagte Jules Benoit mit
seiner schleppenden Südstaaten-Stimme. »Walter, Sie haben unsere
Gastfreundschaft mißbraucht. Ich muß Sie bitten zu gehen, bitte.«
Walter glitt von dem Barhocker herunter und wandte sich an den jungen
Mann: »Sehen Sie, dieses >bitte< macht den entscheidenden Unterschied.«
»Und kommen Sie nicht wieder«, fügte Jules hinzu.
Walter legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Es tut mir leid«, sagte er.
»Sie sollten sich schämen.«
»Das tue ich auch.«
»Auf Wiedersehen, Walter«, sagte Jules. »Auf Wiedersehen.«
Die Luft draußen war schwer und der Himmel dunkel. Es sah nach Schnee
aus.
Als er nach Hause kam, war seine Wohnung aufgebrochen, und jemand
befand sich darin.
Walter stieß die Tür mit dem Fuß auf und sah einen bebrillten Mann in
einem billigen grauen Mantel, der sich ein Buch aus dem Regal genommen hatte
und darin blätterte. Als die Tür aufging, drehte der Mann sich um und fragte:
»Walter Withers?«
Der Mann war hochgewachsen und mager, hatte ein rundes Gesicht sowie
einen Kopf, der für den schmalen Hals zu schwer aussah. Seine Brille hatte
dicke Gläser und häßliche braune Bügel. Sein schwarzes Haar war glatt zurückgekämmt
und hätte einen Schnitt vertragen. Unter dem Mantel trug er einen billigen
schwarzen Anzug mit dem obligaten weißen Button-Down-Hemd und eine schwarze
Krawatte.
»Und wer sind Sie?« fragte Walter.
Die Marke blitzte auf. Gold, das im Licht der Lampe schwach leuchtete.
»Detective Zaif, New Yorker
Polizei. Kommen Sie rein.«
»Vielen Dank.«
Walter machte die Tür hinter sich zu.
»Sie haben eine Frau namens Marta Marlund gebumst?« fragte Zaif
beiläufig.
»Auf so eine Frage antwortet ein Gentleman nicht«, gab Walter zurück,
als er Hut und Mantel aufhängte.
Gott der Gerechte, worum geht es bloß?
»Im Zimmer 512 des
Plaza?«
»Der genaue Schauplatz ändert nichts an den Pflichten der
Ritterlichkeit«, sagte Walter beiläufig, obwohl die Alarmglocken von den
Haarspitzen bis zu den Zehen läuteten.
»Sie waren im Zimmer 512 des Plaza
gemeldet«, sagte Zaif.
»Das stimmt.«
»Denn dort hat die Leiche gelegen.« Walter spürte
den elektrisierenden stechenden Schmerz der Furcht.
»Wessen Leiche?« fragte er.
»Die der Marlund«, sagte Zaif gereizt, als wäre die Antwort
selbstverständlich.
Er wartete auf eine Reaktion.
»Mein Gott«, sagte Walter. »Was ist passiert?«
Passiert ist folgendes, dachte Walter. Ich habe Michael Morrison
angerufen, und jetzt ist Marta tot. Folgendes ist passiert: Ich wollte Anne
besuchen, und jetzt ist Marta tot.
Zaif starrte ihn ein paar Sekunden an, bevor er antwortete: »Es sieht
so aus, als hätte sie sich umgebracht.«
Walter setzte sich und stützte den Kopf in die Hände.
»So sieht es jedenfalls aus«, sagte
Zaif. »Aber ich bin nicht sicher, ob ich das glauben soll.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
Wieder eine Pause. Die besagte: Sagen Sie's mir
doch. »Ich glaube, daß jemand bei ihr
Weitere Kostenlose Bücher