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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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gegen Betrug?
    »Nennen Sie es professionelle Neugier«, sagte
Walter.
    »Sie können es nennen, wie Sie wollen.«
    Walter folgte Julian hinter den Spiegel, durch die kleine Holztür, die
nach hinten führte, in einen Umkleideraum, der gleich neben einem Flur lag, der
mit Kiefernholzpaneelen in kleine Kabuffs unterteilt war.
    Julian zog sich aus, schlang sich ein Handtuch um die Taille und
blickte Walter an.
    »Ich bleibe lieber angezogen, wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte
Walter.
    Julian zuckte die Schultern. »Wir werden in Nummer drei sein.«
    Walter setzte sich auf eine Bank. Ihm schwirrte der Kopf. Er hatte
zuviel getrunken, und die dampfende Hitze setzte ihm auch zu. Trennwände aus
Kiefernholz taten nur wenig, um die Geräusche der Rendezvous zu dämpfen, die
aus den Bädern kamen - das Gelächter, das Seufzen, ein gelegentliches Stöhnen.
Einen kurzen, scharfen klimaktischen Schrei.
    Walter lauschte unwillkürlich nach weiblichen Stimmen, obwohl er nicht
wirklich erwartete, in dieser anscheinend männlichen Domäne welche zu hören. Er
erwartete nicht wirklich, Annes Stimme zu hören, hörte sie jedoch im Kopf.
    Wider besseres Wissen stand er auf und ging den Flur entlang. Er
fühlte sich miserabel, weil er in die ersten beiden Kabuffs hineingeblickt
hatte, auf die nackten Männer, die sichtlich, selbst in dem diesigen Dampf -
doch keiner von ihnen war Michael Howard Benson.
    Er stand an der offenen Tür von Nummer drei und blickte auf den
glatten, muskulösen Rücken von Julian Hidalgo, als sich dieser aus dem
dampfenden Wasser erhob. Walter betrachtete die starke Hand, die Julian im
Nacken ergriff und zu einem intimen Kuß herunterzog.
    Sean McGuires Kopf neigte sich vor Lust zurück. Als er wieder
hochblickte, sah er, wie Walter ihn ansah. Julian hielt in seinen Bemühungen
inne und blickte über die Schulter.
    In dieser Szene waren alle drei erstarrt, bis Walter sich umdrehte und
wegging.
    Sie sollten die Leute sein lassen, wie sie sind.
    Walter ging zu der langen Bar im großen Saal zurück.
    »Schönen Nachmittag«, trällerte er dem Barkeeper in einem
bühnen-irischen Akzent zu, dessen sich Barry Fitzgerald errötend geschämt
hätte.
    »Nachmittag«, erwiderte der Barkeeper.
    Er sieht zu gut aus, um nur ein Barkeeper zu sein, dachte Walter. Der
Mann sah gut aus wie ein Schauspieler, wie ein Bühnenschauspieler, und
arbeitete zwischen den Proben offenbar als Barmann. Gab es denn keine Profis
mehr in diesem einst so ehrenwerten Handwerk?
    »Einen Jamieson's ohne alles, wenn Sie so nett sein könnten, guter
Mann«, sagte Walter.
    In der Jukebox sangen die Everly
Brothers gerade All I Haue
To Do Is Dream. In den wenigen Minuten, in denen Walter hinten
gewesen war, hatte sich der Saal gefüllt. Wahrscheinlich, dachte Walter,
kommen die Leute gerade aus den Kinos.
    Der Barmann goß ihm seinen Drink ein, ließ das Glas über den Tresen
schlittern und sagte: »Das ist ein lausiger Dialekt.«
    »Nun, dann gebe ich Ihnen vielleicht lieber ein Stichwort.“
    »Ein Stichwort?«
    »Sie wissen, was ein Stichwort ist.“
    »Aber sicher.«
    »Na schön, legen wir los«, sagte Walter. Dann äußerte er im Tonfall
eines drittklassigen Schauspielers: »>Ich suche einen Mann.<«
    »Sie sollten schnell austrinken und dann gehen.«
    »Nein, nein, nein, nein, nein«, gluckste Walter. »Ich gebe Ihnen das
Stichwort, und sie liefern mir die Pointe. Sie sagen etwas wie: >Sind wir
das nicht alle< oder >Wissen Sie, bei mir sind Sie genau richtig.<«
     
    »Sie sind im falschen Laden gelandet«, sagte der Barkeeper. Dann
machte er sich daran, Gläser zu putzen.
    »Das hört sich schon besser an«, sagte Walter. »Die falsche Replik,
natürlich, aber mehr auf der Linie, die ich hören will. Versuchen wir es noch
einmal: >Ich suche einen Mann.<«
    Drückendes Schweigen, als der gesamte Raum zuhörte und
Gleichgültigkeit vortäuschte.
    »Einen Mann namens Howard Benson.«
    »Suchen Sie woanders.«
    Dies von einer Stimme an einem Ecktisch. Walter drehte sich auf seinem
Barhocker um und entdeckte einen jungen Mann in einem roten Flanellhemd über
Khakihosen. Ein dünner, aber muskulöser junger Mann. Keine Muskeln vom
Hantelnstemmen, keine Football-Muskeln. Keine Boxer-Muskeln.
    »Woanders habe ich schon gesucht«, sagte Walter. »Und zwar überall.«
    »Versuchen Sie es doch mal auf der Wache«, sagte der junge Mann. »Sie
wären vielleicht überrascht.«
    Kurzgeschnittenes braunes Haar. Grüne Augen, die vor Zorn blitzten.

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