Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Seitenblick.
»Okay. Gut. Warum fragst du?«
»Ich weiß nicht. In den letzten paar Tagen hattest du so einen glasigen Blick. Und manchmal starrst du … endlos ins Leere.«
»Ja, ja«, sagte ich, als würde ich mit einem Gleichaltrigen sprechen und nicht mit einem jungen Mann, der noch immer ein Teenager war. »Ich hab leichtes Fieber. Nichts weiter.«
Twills Lächeln verblasste für einen Moment ganz, und er bestätigte nickend einen Gedanken, den ich nicht geäußert hatte.
Ich wollte ihn gerade fragen, was er dachte, als mein Telefon summte. Ich blickte auf die Uhr und sah, dass es drei Minuten nach zehn war. Ein rotes Licht an meinem Telefon blinkte. Ich blickte Twill an, der sich mit einem Nicken verabschiedete. Dann atmete ich tief ein, nahm den Hörer ab und drückte auf den durchsichtigen Plastikwürfel mit der Nummer sechs.
»Hallo, Breland.«
»Ich hab seit dem frühen Morgen versucht, dich zu erreichen«, sagte der Anwalt, und sein Mangel an Höflichkeit verriet mir, dass irgendwas ernsthaft verkehrt lief.
»Danke, dass du mir mit Zella geholfen hast«, lenkte ich ab. »Ich hab sie am Busbahnhof abgeholt. Ich schätze, sie hat dich angerufen.«
»Ja. Sie war äußerst reserviert. Minksy von der Rag Factory sagt, sie hat sich gemeldet und fängt heute dort an zu arbeiten. Ich habe Minks ausgerichtet, dass du ihm versicherst, keinen Ärger zu kriegen.«
»Nochmals danke.«
Danach entstand die notwendige Pause, in der ich ihn nach dem Grund seines Anrufs hätte fragen sollen.
»Mein Handy hat den Geist aufgegeben«, erklärte ich stattdessen. »Deshalb hab ich nicht zurückgerufen. Normalerweise lade ich es immer auf, weißt du. Aber Dimitri ist gestern ausgezogen, und Katrina hat sich zugeschüttet, und zwischen diesen beiden Fiaskos war ich ein bisschen neben der Spur.«
»Du erinnerst dich doch an die Mycrofts, oder?«, konnte er sein Anliegen nicht länger zurückhalten.
Ich hatte die Milliardärsfamilie nie persönlich getroffen, doch ich wusste, dass das bei den Mycrofts lebende Hausmädchen Velvets Mutter war.
»Was ist mit ihnen?«, fragte ich.
»Shelby hat mich gestern Abend angerufen. Er war sehr besorgt.«
»Oh?«
»Es geht um ihren Sohn – Kent. Sie haben zwei Kinder, Kent ist der Ältere. Eine Zeitlang hat er sich von der Familie entfremdet, doch seit ein paar Jahren ist er zurück – studiert an der New York University.«
»Ein College-Boy? Braucht er Nachhilfe in Mathe oder was?«
»Eher deine Art Mathematik, LT .«
»Nun spuck’s schon aus, Breland.«
»Mr. und Mrs. Mycroft sind darauf aufmerksam geworden, dass ihr Sohn unten im Village in üble Gesellschaft geraten ist. Er ist ein sehr emotionaler und leicht zu beeindruckender junger Mann, und sie machen sich Sorgen um seine Sicherheit.«
Das war reines Anwaltsprech. An seiner Ausdrucksweise erkannte ich, dass Breland unter Druck war.
»Was für eine Gesellschaft?«, fragte ich.
»Details haben wir nicht erörtert.«
»Nicht? Reden wir von den Little Rascals oder der Purple Gang?«
»Ich bin sicher, es ist nichts, was du nicht regeln könntest.«
»Und was genau soll ich für die Mycrofts tun?«
»Ich möchte, dass du sie besuchst und ihnen jede nur erdenkliche Hilfe anbietest.«
Die Vorstellung, einen reichen Mann zu besuchen, gefiel mir nicht. Ich hatte zwar nicht den politischen Eifer meines Vaters übernommen, doch die Gesellschaft der oberen Zehntausend mochte ich trotzdem nicht. Aber von meinen Vorurteilen einmal abgesehen bin ich Privatdetektiv und die Wirtschaft auf Talfahrt. Wenn das Land über ein gesundes Bruttosozialprodukt verfügt, wollen Ehemänner oder -frauen wissen, ob ihre Angetrauten sie betrügen – sie sind bereit, einen Mann wie mich dafür zu bezahlen, es herauszufinden. Doch wenn Jobs Mangelware sind, wissen dieselben Eheleute, dass sie das Geld selber brauchen.
»Ich weiß nicht, Breland.«
»Was weißt du nicht?«
»Diese Freunde von dir haben offenbar überdurchschnittlich viel Ärger.«
»Sie haben auch überdurchschnittlich viel Geld.«
»Als ich das letzte Mal mit ihnen zu tun hatte, musste ich ein Versprechen brechen, das ich mir selbst gegeben hatte.«
»Diesmal ist es etwas anderes.«
»Du hast doch gesagt, du weißt gar nicht, was das Problem ist.«
»Er ist bloß ein dummes College-Kid, LT . In welchen Ärger er auch verwickelt sein mag, es steht bestimmt in keinem Verhältnis zu der anderen Sache.«
»Wenn es so simpel ist, warum brauchen sie dann
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