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Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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mich angerufen und gesagt, dass du in Mr. Batemans Wohnung sein würdest und meine Praxis doch nur ein paar Blocks entfernt liege. Sie ist eine intelligente Frau.«
    Ich musste mich bis auf die Unterwäsche ausziehen und auf einen Bogen Wachspapier setzen, den sie auf dem Esstisch ausgebreitet hatte. Ich saß erst aufrecht, legte mich dann auf den Rücken und schließlich auf die Seite, damit sie mit Gummihandschuhen meine Prostata abtasten konnte. Natürlich maß sie auch meine Temperatur.
    »Wie hoch?«, fragte ich.
    »Knapp neununddreißig. Du gehörst ins Bett.«
    »Nicht, dass du damit falschliegen würdest«, sagte ich, »aber das Bett ist der letzte Ort, an dem ich sein sollte.«
    Sie blickte mir in die Augen und in den Rachen,leuchtete mir mit einer Stablampe in die Ohren und tastete meinen Unterleib ab.
    »Wohnt irgendwer in dieser Wohnung?«, fragte sie am Ende all dieser Untersuchungen.
    »Nicht körperlich«, sagte ich. »Was fehlt mir, Doc?«
    »Schwer zu sagen. Du hast auf jeden Fall Fieber. Entweder ist es ein schwacher Virus oder eine Infektion, wahrscheinlich eine Virusinfektion, die sich in einem Organ oder einer Drüse festgesetzt hat. Dein Hals ist links ein wenig geschwollen. Du brauchst Bettruhe.«
    »Nur wenn du denkst, dass die Behandlung wichtiger ist als das Leben des Patienten.«
    Die Augen der Ärztin flackerten leicht beunruhigt auf.
    »Ich habe dir ein neues Breitbandantibiotikum mitgebracht.« Sie zog ein Glasfläschchen mit kleinen lilafarbenen Pillen aus der Tasche. »Nimm drei Mal am Tag eine Tablette, vorzugsweise zu den Mahlzeiten, das sollte jede Entzündung killen.«
    »Wie lange?«
    »Zehn Tage, zur Sicherheit.« Sie nahm ein Glas aus einem Schrank und füllte es am Waschbecken mit Wasser. Sie brachte es mir und fragte: »Hast du vor Kurzem was gegessen?«
    »Ist noch nicht lange her.«
    »Dann nimm zum Anfang drei Stück. Das wird das Fieber senken und dich auf den Beinen halten. Danach drei Mal am Tag eine.«
    »Es ist lange her, Helen«, sagte ich, nachdem ich drei der Minitabletten geschluckt hatte.
    »Ja, das ist es.«
    »Zwanzig Jahre oder so?«
    »Vielleicht auch länger.«
    »Wie geht es meiner Frau.«
    Ein Schatten huschte über das kluge Gesicht der Ärztin.
    »Ich mach mir Sorgen wegen Katrina«, sagte sie.
    »Ist sie krank?«
    »Ich glaube, sie hat Depressionen. Es ist nicht richtig, dass ich mit dir darüber spreche, aber ich habe mich auch deswegen auf diesen unorthodoxen Termin eingelassen, weil ich mit dir reden wollte.«
    »Braucht sie Medikamente?«
    »Sie braucht Hilfe. Einen Therapeuten, einen Psychopharmakologen, irgendwas.«
    »Hm.« Ich zog die Hose hoch.
    »Wirst du mir ihr reden?«
    »Was ist es deiner Meinung nach?«
    »Ihre Menopause hat begonnen. Während dieser Veränderung leiden viele unter Depressionen. Sie haben das Gefühl, keine richtige Frau mehr zu sein. Manche fürchten, dass es in dieser Männerwelt für eine unfruchtbare Frau keinen Platz gibt.«
    Während ich mein Hemd zuknöpfte und die Freundin und Ärztin meiner Frau ansah, dachte ich an die karge Wohnung, in der wir standen, an die Millionen von Terabytes unter uns – Wissen, das Konzerne zu Fall bringen und Regierungen mehr schaden konnte als zehntausend Fliegerbomben. Dann dachte ich an meine Frau. Ich hatte das Gefühl, dass ich in diesem Raum sein musste, genau in diesem Moment, nach Fieber, Furcht und Tod. Wenn eins dieser Elemente gefehlt hätte, wäre ich nicht auf die Worte gestoßen, die ich sagte.
    »Du weißt, dass Katrina niemanden wirklich einbezieht. Sie kommt auf eine Idee und sieht dich an und stellt sich vor, dass du dasselbe denkst – oder auch nicht. Aber was du denkst oder sagst, wird, nein, kann ihr nichts bedeuten. Die Idee ist schon da.«
    Dr. Bancroft verzog das Gesicht, als hätte ich sie mit einem ihrer eigenen Skalpelle gestochen. Sie nickte und sagte: »Aber du kennst sie besser als irgendjemand sonst, Leonid. Du musst versuchen, zu ihr durchzudringen.«

29
    Ich begleitete Helen zurück zu ihrer Praxis in einem alten Reihenhaus aus Sandstein in der West 12 th Street. An der Tür wollte ich ihr zum Abschied die Hand geben, doch stattdessen beugte sie sich vor und küsste mich auf die Wange. Die gute Ärztin hatte mich noch nie geküsst. Sie war Katrinas Freundin und damit in gewisser Weise immer meine Feindin gewesen – oder doch zumindest die Verbündete meiner Gegnerin.
    Katrina und ich hatten die letzten zwanzig Jahre auf entgegengesetzten Seiten

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