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Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Titel: Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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nach.«
    »Du willst, dass ich dir sage, was ich weiß?«
    »Ich hab gesagt, ich denk drüber nach, Tony. Dräng mich nicht.«
    Wir waren an einem toten Punkt. Ich hatte nicht abgelehnt, würde aber auch nicht zusagen, ehe ich Zeit gehabt hatte, meine Optionen zu erwägen. Das erkannte auch Tony.
    »Ich melde mich«, sagte er.
    Ohne ein weiteres Wort stand er auf und marschierte aus meinem Büro. Ich ließ ein paar Minuten verstreichen, bevor ich nachsah, ob er wirklich gegangen war. Dann nahm ich die 38er aus dem alten Tresor des Juweliers und vergewisserte mich, dass sie gereinigt und geladen war.

11
    Eines der Dinge, die ich in dreiundfünfzig Jahren harten Lebens gelernt habe, ist, dass auf jeden Einzelnen von uns ein anderer Tod wartet – an jedem einzelnen Tag unseres Lebens. Es gibt Betrunkene am Steuer von Autos, U-Bahnen, Zügen, Flugzeugen und Schiffen; es gibt Bananenschalen, Krankheiten und faule Medikamente, die vorgeben, sie zu heilen; es gibt übertragbare Viren, unzerstörbare Mikroben im Essen, eifersüchtige Ehemänner und Ehefrauen oder einfach Pech.
    Ich kannte einmal eine Frau namens Gertrud Longman. Sie hatte eine Wohnung in SoHo, wo ich manchmal übernachtete. Eines Morgens, sie war schon zur Arbeit gegangen, saß ich mit einem Kaffee auf der Feuertreppe, als ein Wagen schlingernd die Straße hinunterkam. Eine Mutter und ihr kleiner Sohn überquerten die Straße, und der Wagen erfasste sie. Einen Moment lang sah es so aus, als ob der Fahrer anhalten würde, um Hilfe zu leisten, aber dann trat er oder sie auf das Gaspedal, rollte über die Körper und war weg. Ich stieg auf die Straße hinunter, erkannte jedoch mit einem Blick, dass sie tot waren, sehr tot. Ich alarmierte den Notruf, und ein Krankenwagen kam mit heulender Sirene. Ein paar Minuten später traf auch die Polizei ein, und ich erzählte ihnen, was ich wusste.
    Das war ein harter Tag für mich. Ich war so aufgewühlt, dass ich nach Hause ging. Katrina besuchte mit den Kindern ihre Eltern in deren Altersruhesitz in Miami, also brütete ich allein in der Wohnung über den Tod am Steuer eines roten Autos, der aus dem Nichts auf einen zuraste und dann feige flüchtete. Ich stieg mit einem Buch in die Badewanne, vergaß jedoch meinen Drink auf dem Waschbeckenrand. Ich setzte einen Fuß aus der Wanne, rutschte aus, machte in bester James-Brown-Manier einen Spagat auf dem Badezimmerboden, hob ab und landete hart. Mein Schädel streifte den Rand der Eisenwanne. Und obwohl mein Kopf und meine Hüften heftig schmerzten, lag ich da und lachte über mich selbst. Ich hatte vergessen, dass der Tod überall lauert und einen immer dort erwischt, wo man ihn am wenigsten erwartet.
    Selbst wenn ein Gangster mich ins Fadenkreuz genommen hatte, musste ich trotzdem weiterleben, genau wie jede andere verlorene Seele auf dieser Erde, die sich fragt, ob sie es heil über die Straße schafft.
    Ich nahm den Bus nach Downtown und stieg drei Blocks vor Tiny Batemans Wohnung in der Charles Street aus.
    Die Charles Street war eine enge Straße mit vier- bis sechsstöckigen Backsteinhäusern, die über die Jahrzehnte mit einer dicken Schicht Großstadtruß überzogen worden waren. Betontreppen führten in die Kellergeschosse hinunter, und die Tore davor waren meist verriegelt. Tiny arbeitete in einer Souterrainwohnung einen halben Block vor der Ecke Hudson Street. Ich stieg die sieben Granitstufen hinunter und gab den Geheimcode für diese Woche ein. Ich kam mir vor wie ein Idiot mit einem magischen Decoder-Ring, aber Tiny würde nuraufmachen, wenn ich die richtige Zahlenfolge in den Tastenblock tippte.
    Mit einem lauten Klicken öffnete sich drei Minuten später die in ausgefallenem Kleegrün gestrichene Doppelstahltür.
    Es war eher ein Verschlag als eine Wohnung. In jedem Raum, sogar auf der Toilette, waren Arbeitstische in die Wand gedübelt, auf denen sich Kabel, Spanplatten, gehäuselose Computer, als Keramikfiguren verkleidete Kameras, Minihumidore, ein Exemplar von Der alte Mann und das Meer sowie weitere nicht identifizierbare Objekte stapelten. Dazwischen lagen haufenweise Handys, durch Kabel mit Computern oder miteinander verbunden. Tiny konnte mit moderner Technologie Dinge veranstalten, die sich nicht einmal ihre Erfinder ausgemalt hatten. Er versorgte Leute wie mich mit Überwachungsgeräten, gehackten Informationen und guten Ratschlägen. Den Großteil seiner Arbeit erledigte er über das Netz, doch einigen wenigen Auserwählten erlaubte er auch den

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