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Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Titel: Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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ging zu einem Typen namens KC Longerman, um den Plan (ohne unsere Namen zu nennen) an Tyner zu verraten. Aber im Laufe seiner Ausbildung musste Bill den Kurs geschwänzt haben, wo er daran erinnert worden wäre, dass ich derjenige war, der ihn mit KC bekannt gemacht hatte.
    An dem Abend nachdem wir den Plan in Bewegung gesetzt hatten, ging ich mit Mordgedanken zu Bills Wohnung. Norman Bly war in Polizeigewahrsam, Tyner würde in Kürze für längere Zeit Gast einer staatlichen Einrichtung werden. Und was mich betraf, würde dies auch der letzte Abend in Bills Leben werden.
    Sein Plan hätte nie funktioniert. Tyner hätte problemlos herausgefunden, wen Four-Fingers mit der Sache beauftragt hatte. Aber Bill hielt sich für zu gerissen. Er wollte bestimmt nicht, dass wir umgelegt wurden.
    Ich war so wütend, dass ich nur ein Fingerzucken von Mord entfernt war. Aber als ich vor ihm stand, wurde mir klar, dass ich selbst Schuld an Bills Verrat trug. Männer wie Bill und ich hätten niemals Partner werden dürfen, nicht auf die langfristige und bürgerliche Art mit Verträgen und Vereinbarungen. Wir waren keine Geschäftsleute. Wir waren unabhängige Agenten in eigener Sache, aus Notwendigkeit und von Natur aus. Bill sah kein Problem darin, ein bisschen was nebenbei abzusahnen. Worüber beklagte ich mich, solange ich nichts davon wusste und nicht geschädigt wurde?
    Ich ließ seine Wohnungstür angelehnt und eine Hohlspitzpatrone Kaliber .45 auf dem Frühstückstisch stehen wie einen Soldaten.
    Seitdem haben sich unsere Wege nicht mehr gekreuzt.
    Ich erinnerte mich an Bill, weil ich, auch wenn ich danach alle beruflichen Partnerschaften gemieden habe, doch nicht vollkommen selbständig war, wie Harris Vartan bemerkt hatte. Mit der Polizei vor der Tür, Leichen auf meinem Weg und Killern, die meinen Namen auswendig lernten, musste ich wohl oder übel den Arsch hochkriegen und nach Downtown bewegen, wo die Gesetze der Natur und die des Menschen sich kreuzen, verflechten und ein ganz neues Rechtssystem bilden.

29
    Ungeachtet meiner sporadischen Träumereien von fremden Landstrichen war New York die einzige Stadt, in der ich leben konnte. Die meisten anderen amerikanischen Gemeinden sind nach Klasse und Kultur, Bildung und persönlicher Vorliebe getrennt. In New York dagegen werden alle durcheinander geschüttelt und gerüttelt, bis man afrikanische Prinzen neben Töchtern der amerikanischen Revolution aus den Appalachen und aufstrebende Starlets sieht, die für hoffnungsvolle Hausfrauen jenseits ihrer Blüte beiseite treten. Selbst in einer Zeit, in der die Immobilienpreise in Höhen schießen, die sich fast keiner mehr leisten kann, trifft man in einer U-Bahn der Linie 1 unter Manhattans West Side immer noch alle Elemente der Menschheit.
    In dem Waggon, den ich auf meiner Fahrt zur Wall Street bestiegen hatte, saßen mindestens ein Dutzend Leser. Sie schmökerten in Romanen und Lehrbüchern, Zeitungen und HipHop-Magazinen. Es gab entwurzelte Hausfrauen, die zur Arbeit fuhren, weil ein Einkommen allein nicht mehr für die Miete reichte. Viele von ihnen schauten sich, Kopfhörer im Ohr, auf winzigen Displays Seifenopern an. An jenem Nachmittag sah ich Leute Bücher von Thomas Mann, Joy King, Edwidge Danticat und Danielle Steel lesen. Ein bleicher Typ blickte sich fortwährend argwöhnisch nach möglichen Feinden um, die sich anschleichen könnten. Eine pummelige Weiße lächelte mich an und schürzte sogar die Lippen. Irgendwann zwischendurch kam eine Truppe von Doo-Wop-Sängern bestehend aus einem Asiaten und drei Schwarzen durch unseren Waggon und trällerte »On Broadway« und »Up on the Roof«.
    Mir gegenüber saßen zwei Frauen mittleren Alters, eine schwarz, die andere weiß. Sie lachten und schwatzten munter über die Arbeit. Offenbar hatte ein Vorgesetzter, der ihnen das Leben schwergemacht hatte, eine Affäre mit einer Sekretärin, die auch mit dem Big Boss herummachte.
    »Schätzchen, als er aus Metcalfs Büro kam, war er weiß wie ein Marshmallow«, sagte die Schwarze.
    Sie amüsierte sich so prächtig, dass sie den kleinen unscheinbaren Typ neben sich nicht bemerkte. Er trug eine braune Hose und ein blaues Hemd. Sein ursprünglich blondes Haar war von verschiedenen Grauschattierungen durchsetzt. Er hatte der schwarzen Frau den Rücken zugewandt, doch Mr. Unauffälligs Ellbogen drückte wie zufällig so gegen ihre Handtasche, dass sie sich einen Spalt geöffnet hatte.
    Als Nächstes würde er kurz vor der

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