Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman
kurz. Ich glaube, siewar früher einmal für längere Zeit hier, aber das ist schon Jahre her. Seitdem hat sie hin und wieder einen kleinen Nervenzusammenbruch. Man bringt sie hierher, doch sie kann jederzeit wieder gehen, wenn sie möchte.«
»Wie heißt diese Bunny denn mit Nachnamen?«
»Hey, Sie!«, rief eine zweifelsohne männliche Stimme.
Der Tonfall erschreckte meine neue Freundin.
Ich drehte mich um und sah zwei kräftig gebaute Angestellte auf mich zukommen. Einer war braun, der andere dunkelbraun. Beide hatten sie mich und nur mich im Visier.
Ich stand auf und sah die alte Paganistin im tragbaren Schatten ihres halbdurchsichtigen rosa Sonnenschirms aus meinem Gesichtsfeld trippeln.
»Was machen Sie hier?«, fragte der dunklere der beiden Wärter.
»Es ist ein wunderschöner Tag«, erwiderte ich, als ob das eine absolut akzeptable Antwort wäre.
Mein nonchalantes Gebaren bremste die beiden Männer kurz aus.
»Dies ist Privatgelände«, informierte mich der andere Pfleger/Rausschmeißer.
»Und ich bin Privatdetektiv«, sagte ich, »auf der Suche nach Informationen über einen Typen namens Willie Sanderson.«
Die beiden Männer sahen einander und dann wieder mich an.
»Dies ist Privatgelände«, wiederholte der Hellerhäutige.
»Ich möchte Ihren Chef sprechen«, sagte ich.
Fünf magische Worte wie ein Geschwür in den Eingeweiden jedes Menschen, der alle vierzehn Tage einen Gehaltsscheck entgegennimmt. Es ist, als würde man einem Leprechaun zuzwinkern: Er muss seinen Kessel mit Gold aufgeben, und keiner weiß warum.
35
Die beiden Schläger brachten mich in ein Büro, das für eine derartig wohlhabende Einrichtung seltsam zweckmäßig wirkte. Es befand sich am Ende eines Flurs in einem Gebäude, in dem ich die Verwaltung der Klinik vermutete. Wir betraten den schmalen Raum ohne Klopfen oder Pardon. Hinter einem grauen Metallschreibtisch am anderen Ende des länglichen Zimmers saß ein Mann mittleren Alters in einem zu grünen Anzug. Durch das große Fenster hinter ihm blickte man auf das idyllische Freigelände.
Der Mann beugte sich über ein langes, breites Register, machte hier und da kleine Einträge und sah aus wie jemand, der die Details kontrolliert und in seinem Sinne korrigiert.
Als er den Kopf hob, war ich verblüfft. Direktor Theodoren Gorling (so stand es auf seinem Namensschild) war der einzige Mann, den ich je gesehen habe, der mehr Hals als Gesicht hatte. Sein Hals war ein großer praller Stängel, auf der sein Kopf wirkte wie eine noch unreife Samenschote.
»Ja?«, fragte er den dunklerhäutigen Wärter.
»Der Typ hat auf dem Gelände rumgelungert. Sagt, er sei Detektiv.« Der Wärter gab dem Direktor die falsche Visitenkarte, die ich ihm zum Beleg meines Halblebens überreicht hatte.
Gorling bewegte seinen kleinen Kopf von links nach rechts und studierte die wenigen schlichten Worte ausverschiedenen Perspektiven. Dann legte er die Karte in die Mitte seines aufgeräumten Schreibtischs. Seine Bewegungen waren mechanisch und grob. Er wirkte irgendwie gefährlich, wie ein Priester auf der falschen Seite der Erlösung.
»Ich hole Erkundigungen über Willie Sanderson ein«, sagte ich, als offenbar wurde, dass Gorling nicht die Absicht hatte, mich zu fragen, was ich hier wollte.
»Warum?«
»Er hat Menschen getötet, scheinbar wahllos. In Manhattan hat er einen jungen Mann namens Brown ermordet. Dessen Eltern haben mich beauftragt herauszufinden, warum.«
»Hier steht, Sie sind aus Newark«, sagte Gording und tippte mit dem Mittelfinger seiner linken Hand auf die Visitenkarte.
»Genau wie meine Klienten«, sagte ich. »Aber ihr Sohn wohnte in der Upper East Side. Er wollte Schauspieler werden, hat jedoch nebenbei als Fotomodell gearbeitet. War Willie Sanderson schwul?«
»Warum fragen Sie?«
»Der Sohn hat sich seinen Lebensunterhalt als Model für Unterwäsche verdient«, sagte ich und schob meine Unterlippe kennerhaft vor. »Ich dachte, dass es womöglich um irgendeine Sexgeschichte ging.«
Nach meiner Erfahrung muss man in meinem Job gegenüber Leuten, die man befragt, häufig so tun, als wäre man ahnungslos oder besser noch dumm. Sie fühlen sich dann überlegen, geistig einen Schritt voraus gewissermaßen.
»Setzen Sie sich, Mr. Trotter«, sagte Gorling zu mir,und dann zu den Männern in Grau und Weiß: »Warten Sie draußen.«
Nachdem seine Untergebenen den Befehl befolgt hatten, wandte Gorling mir seinen Hals zu.
»Ich weiß rein gar nichts über Mr. Sandersons
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