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Manhattan

Manhattan

Titel: Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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Karrieren beendenden roten Fähnchen versehen werden, bei Forbes and Forbes aber gleichwohl positiv zur Bilanz beitragen würde.
    Es kam jetzt darauf an, die Sache runterzuspielen, einen normalen Arbeitstag hinzulegen, bis er Verbindung aufnehmen konnte. Sollte sich das Rad ruhig sozusagen um ihn drehen – und das würde es auch –, er würde unbehelligt in der Radnabe sitzen bleiben.
    Nichts weiter als ein neuer Arbeitstag.
    Knauserig mit Forbes' Geld (obwohl Walter es irgendwie eher für Dickless Tracys Geld hielt; nur zu gut erinnerte er sich an den Morgen, an dem der alte Buchhalter wie ein städtischer Ausrufer durch den Korridor spazierte und klagte: »Zu viele Taxifahrten! Zu viele Taxifahrten!«), fuhr er mit der U-Bahn bis zur Ecke 72. und Broadway, einer Verkehrsinsel, die von der Stadt als Sherman Square bezeichnet wurde und die jeder sonst nur unter dem Namen Needle Park kannte. Diese dreieckige Oase im breitesten Teil des Broadways wies eine höhere Heroin-Konzentration auf als die Innenstadt von Istanbul. Ihre Bürger trugen entweder den gehetzten Gesichtsausdruck der Verzweifelten oder hatten den glasigen Blick der Verzückten. Es waren Menschen, die entweder im Himmel oder in der Hölle lebten und kein irdisches Mittelmaß kannten, sondern auf ihre Engel in den Doughnut-Läden und den Imbissbuden warteten, die die Ostseite des Parks begrenzten. Es war Walters begründete Meinung, dass wenn zehn oder zwölf ausgemergelte Pilger um sechs Uhr morgens vor einem Imbiss-Schuppen standen und darauf warteten, dass er aufmachte, sie es nicht wegen einer Tasse Kaffee und einem Schokoladen-Doughnut taten, sondern vielmehr wegen des Augenblickes der Lieferung, in dem Al, Phil oder Chick – die Engel,
die Dealer – mit dem Cellophan-Umschlag voller Paradies eintrafen, der für den Morgen reichen sollte.
    Needle Park hatte eine gute Lage – fern von den Touristenzentren, von der wohlhabenden East Side durch den Central Park getrennt, viel weiter Uptown als Little Italy, wo die Heroin-Importeure mit ihren Frauen und Kindern lebten. Nein, es war für jeden ein gutes Geschäft – angefangen bei den Stadtvätern bis hin zum Mob, von den Cops bis zu den Süchtigen selbst. Ein vernünftiges Arrangement, dachte Walter, als er sich auf eine Bank neben einen weiblichen Junkie setzte, deren Gleichgültigkeit gegenüber ihrem neuen Nachbarn absolut war. Obwohl er in seinem schweren Mantel, dem grauen Filzhut mit der feschen roten Feder und seinen blankpolierten Schuhen tatsächlich ein wenig fehl am Platz wirkte. Doch Heroinsüchtige sind eine liberale Truppe, denen Unterschiede von Klasse, Rasse oder Geschlecht nichts ausmachen. Dazu sind ihre Augen viel zu starr auf den Himmel fixiert.
    Aber nicht die von Walter. Sein Blick war auf die andere Seite des Broadway gerichtet, die Westseite, auf den zweiten Stock eines gewaltigen gelben Klinkerbaus mit deckenhohen Fenstern. In einem davon hing ein Schild mit der Aufschrift: Ansonia Studios. Walter hatte zum ersten Mal seit Tagen Glück, denn die Fenster gewährten großzügigerweise einen fast vollständigen Einblick. Ein drahtiger, muskulöser junger Mann in einem schwarzen Trikot sowie ein gutes Dutzend weiterer drahtiger, muskulöser junger Männer tanzten zermürbend synchron über einen blankpolierten Holzfußboden.
    Es war der junge Mann, der ihn am Samstag in der Bar herausgefordert hatte, der Mann, der bei der Erwähnung Michael Howards so zornig reagiert hatte. Ein junger Mann, der erst noch lernen musste, dass man alles verbergen muss, wenn
man etwas zu verbergen hat. Und dass man deshalb keine Gymnastikbeutel mit sich herumtragen darf, die den Ort verraten, an dem man vermutlich zu finden sein wird.
    Er ist schön, dachte Walter, als er sah, wie der Mann sich mit geübter Anmut bewegte, und wären die Scharniere meiner Tür entsprechend angeschlagen, würden sie zu diesem jungen Tänzer hin schwingen.
    Andererseits konnte Walter Withers gut und gerne drei Fred-Astaire-Filme hintereinander ansehen. Er liebte das Ballett. Er hielt den Tanz für eine seltene Mischung aus Athletik und Kunst und hielt die Mischung für bezaubernd.
    So auch an diesem kalten Dezembermorgen, als er mit dem Junkie auf einer Bank kauerte und durch die Fenster das Training der Tänzer beobachtete. Er konnte weder die Musik noch das rhythmische Bellen des Tanzlehrers hören, sah aber dennoch alles in den Bewegungen der Tänzer. Er sah den glitzernden Schweiß auf den Gesichtern und

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