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Manhattan

Manhattan

Titel: Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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den nackten Armen, ein stummes Zeugnis der Anstrengung, die nötig ist, um etwas mühelos erscheinen zu lassen.
    Der Junge war stark, wie Walter beobachtete. Er hatte die langen Schultermuskeln und den breiten Brustkorb eines Tänzers. Bei einem Zweikampf würde mit ihm nicht gut Kirschen essen sein, und Walter nahm sich vor, reichlich Distanz zu halten, wenn er – was er unvermeidlich tun würde – ihm zu seinem nächsten Termin folgte.
    Zum Winter Garden, wie sich herausstellte, und Walter war auch nicht überrascht – nur ein wenig entsetzt –, dass der Junge die siebenundzwanzig Blocks zum Theater zu Fuß ging. Walters Fußknöchel war noch instabil und empfindlich, und es konnte keine Rede davon sein, dass er den Jungen auf Distanz ließ, vielmehr musste er sich mächtig anstrengen, um auf Sichtweite zu bleiben. Walter schwor, mindestens dreimal in
der Woche Tennis zu spielen und weniger zu trinken, wenn dies alles erst einmal vorbei war.
    Der Winter Garden war an einem späten Montagmorgen natürlich dunkel, doch an der Kasse stand eine lange Schlange, weil die West Side Story ein riesiger Erfolg war. Und als der Junge das Haus durch den Bühneneingang betrat, fragte sich Walter, ob er einen Jet oder einen Shark spielte, und kam zu dem Schluss, dass der Haarschnitt ihn von Kopf bis Fuß zu einem Jet machte.
    Walter wartete etwa eine Minute und näherte sich dann dem Pförtner am Bühneneingang.
    Der Pförtner nahm den Zigarrenstummel aus dem Mund und grunzte: »Dies ist der Bühneneingang.«
    »Wie recht Sie haben«, erwiderte Walter und nahm eine Fünfdollarnote aus der Tasche. »Ein junger Mann ist gerade hineingegangen, und ich würde gern seinen Namen erfahren.«
    Der lautete Tony Cernelli.
    Walter zog seinen Notizblock und den Kugelschreiber heraus, kritzelte schnell etwas hin, befestigte die Notiz an einem weiteren Fünfer und bat den Pförtner, beides für ihn zu übergeben.
    Der Pförtner steckte den Geldschein in die Tasche und fragte: »Keine Blume oder so was?«
    Man weiß, dass man in New York ist, dachte Walter, wenn man einem Burschen zehn Dollar Trinkgeld gibt, und er einem unterstellt, dass man billig ist.
    »Nur den Zettel, bitte«, sagte er.
    Es war bloß ein kurzer Weg zum Büro, und die Bewegung half seinem schmerzenden Rücken und den Beinen, so dass er beschloss weiter zu laufen. Durch die Wolkenkratzer-Canyons von Midtown, wo in seiner Jugend elegante Klinkerhäuser gestanden hatten.
    Die Stadt, wie er sie gekannt hatte, begann allmählich zu verschwinden. Le Ruban Bleu, einst das Stammlokal von Leuten wie Cole Porter, Moss Hart, Noel Coward und Marlene Dietrich, war längst abgerissen worden und dem antiseptischen Corning Glass Building gewichen. Das Downstairs at the Upstairs war zerstört worden, um Platz für das Time/Life Building zu schaffen. Die gesamte magische Insel verschwand, um durch Namen von Großunternehmen ersetzt zu werden. Kalte, riesige Kästen aus Glas und Stahl, in denen die Drohnen mit den Button-Down-Hemden und dem Bürstenhaarschnitt schufteten, bis sie zu ihren Vorortszügen marschierten, um sich im Fernsehen Westernshows anzusehen und von Freiheit zu träumen. Die Park Avenue, einst ein Boulevard voller Wärme und Eleganz, jetzt eine Reihe von Monstrositäten Mies van der Rohes, von Gebäuden aus Glas, in denen sich andere Gebäude aus Glas spiegelten.
    Als er wieder an seinem Schreibtisch saß, fand er einen Stapel Memos vor: Madeleine Keneally, Jo Keneally, Anne Blanchard und Dieter König hatten angerufen. Der Anruf, der ihn im Augenblick wirklich interessierte, war nur der von Dieter König, es war eine Einladung zum Lunch, die überdies verschlüsselt war.
    Nur Dieter, dachte Walter, würde so dringend um ein Treffen im Russian Tea Room bitten.
     
    Dieter saß schon am Tisch, als Walter ankam. Der deutsche Zuhälter sah fast sittsam aus, wie er sehr gerade dasaß und die Hände auf dem weißen Tischtuch gefaltet hielt. Sein blondes Haar war glatt zurückgekämmt. Er trug einen holzkohlengrauen, zweireihigen Anzug mit feinen Nadelstreifen und eine blaue Seidenkrawatte.
    »Es ist sehr schön«, sagte Walter, als er sich auf seinen Stuhl
setzte und die Beine unter dem langen weißen Tischtuch ausstreckte. »Aber sehr extravagant.«
    »Es ist schon zu lange her, dass wir zusammen wirklich gut gegessen haben«, erwiderte Dieter.
    Seine Stimme hatte ihr gewohntes elegantes Timbre, doch da war noch ein leichtes Zittern, das auf etwas anderes hindeutete.

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