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Manhattan

Manhattan

Titel: Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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Sozialistischer Jugendverband, Fair Play für Russland … Verbale Unterstützung für unsere tapferen russischen Verbündeten bei ihrem Kampf gegen den deutschen Faschismus (»Eine zweite Front jetzt!«). Alles jämmerlich naiv, dachte Walter, aber ebenso jämmerlich typisch.
    Nein, es war weder interessant noch gefährlich, bis Anne nach Europa zu reisen begann. Auf Tournee – ein guter Grund, von Stadt zu Stadt zu ziehen, und Walter wusste, wie es passiert war. Damals für »die Sache«. Ob sie hier eine Nachricht überbringen könne, dort ein Signal, diesen Filmbehälter übergeben, dieses kleine Bündel Bargeld? An einen Genossen in Wien, einen Genossen in Oslo, an einen Genossen in Nizza, Genossin? Alles wohldokumentiert.
    Und natürlich ist McCarthy wieder in den Staaten, um Le
ben und Karrieren zu ruinieren, und man kann leicht verstehen, dachte Walter, wie sie bei all dem weich wird und in die Knie geht. Damals war es schließlich nicht ganz einfach zu wissen, wer wirklich der Feind war. Es war leicht, sich verwirren zu lassen, leicht, sein Land zu verraten, wenn man an die Arbeiter der Welt glaubte, verstehen Sie, und an das Absterben des Staates sowieso, und wenn das Komitee für unamerikanische Umtriebe die meisten Freunde auf die schwarze Liste setzt.
    Und dann schickte unser tapferer sowjetischer Verbündeter 1956 seine Panzer nach Budapest, um auf den Straßen Studenten niederzumähen, und dann tauchen die Flüchtlinge in Wien auf und erzählen Geschichten, wie man Gefangenen Glasröhrchen in den Penis schiebt und dann zertrümmert. Wir hören, dass man Frauen mit Bajonetten vergewaltigt hat, und alte Freunde verschwinden einfach. Annes Verwirrung wird immer größer, ihre Begeisterung schwindet dahin, und ein cleverer Führungsoffizier hätte gesagt, ja, natürlich, kein Problem. Das Volk dankt Ihnen für Ihre Dienste, natürlich nehmen wir Ihnen nichts übel, ich gebe am 4. Juli sogar eine kleine Party in Stockholm …
    Als ich sie kennenlernte, las Walter in den Dokumenten, war ihre Karriere als Kurier schon vorbei, um die Zeit also, als der Große Skandinavische Lude und Tödliche Anwerber mit einer sowjetischen Spionin ins Bett fällt. Die mit einer weiteren Sowjetspionin ein sapphisches Bett teilt. Die wiederum in dem ungemein demokratischen Bett Joe Keneallys landet und alles auf Tonband aufnimmt.
    Was natürlich der Sinn des Ganzen ist. Nicht dass Keneally herumvögelt, sondern mit – unter vielen anderen – einer sowjetischen Agentin. Die süßeste und klebrigste Fliegenfalle von allen. Ein Senator der USA  – vielleicht sogar künftiger Prä
sident der Vereinigten Staaten – in einer langfristigen Affäre mit einer Hure des KGB .
    Doch Anne kann das alles natürlich nicht gewusst haben. Kann nichts von Marta gewusst haben, und als ein Kurier gebraucht wurde, nun ja … wir können bestenfalls von Gefängnis sprechen, und das ist schon die günstigste Variante.
    Und ich mit ihr. Denn sie werden nie glauben, dass du nichts davon gewusst hast. Sie werden nie glauben, dass die Rendezvous deiner Geliebten in Wahrheit keine Spionageaufträge waren. Und selbst wenn sie dir glauben möchten, werden sie sich vergewissern müssen, und das könnte jahrelange Vernehmungen erforderlich machen. Das heißt, wenn sie mit dir nicht einfach irgendwohin fahren und dich erschießen, wie du es damals an jenem feuchten Abend in Hamburg geglaubt hast.
    Wenigstens werden sie dir einen Deal vorschlagen, dachte Walter. Oder sie wollen dich dazu bringen, das zu glauben, um Zeit zu haben, den Mord zu arrangieren.
    Was, dachte Walter, uns zu der Notiz führt: Bringen Sie die Tonbänder heute Abend um neun zum Boat Basin. Gefolgt von ein paar logistischen Details. Nicht nötig, noch hinzuzufügen: »Sonst.« Sonst geht dieses Päckchen an die CIA und das FBI , und dann werden Sie beide die nächsten paar Jahre in diesen Hütten in den Bergen verbringen. Also tun Sie uns doch diesen kleinen Gefallen, Walter, und bringen Sie die Tonbänder heute Abend um neun zum Boat Basin.
    Was ich tun werde, dachte Walter. Was ich höchstwahrscheinlich tun werde.
    Nichts davon versetzte ihn in besondere Wut. Letztlich war es geschäftlich, rein geschäftlich. Das Postskriptum enthielt als Zugabe die schmierige, schmerzhafte Zeile: P. S. – Nicht weil sie Sie weniger liebt, sondern weil sie das Volk mehr liebt.
     
    Doch zunächst musste er sich um einige Details kümmern. Es mussten Dinge vorbereitet und Pflichten

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