Mann im Dunkel
gar nicht zumute ist.
Er kehrt zum Sofa zurück, setzt sich, lehnt den Kopf an die gepolsterte Rückenlehne und schläft auf der Stelle ein.
Als er dreißig Minuten später die Augen wieder aufschlägt, steht die Schlafzimmertür halboffen. Molly ist nicht mehr da.
Er sucht im Schlafzimmer nach Zeitungen oder Zeitschriften – vergeblich.
Dann geht er in die Küche, erhitzt eine Dose Gemüsesuppe und macht sich ein Truthahnsandwich. Er stellt fest, dass ihm die Markennamen vertraut sind: Progresso, Boar’s Head, Arnold’s. Nach dieser frugalen Kost spült er das Geschirr, betrachtet dabei das weiße Telefon an der Wand und fragt sich, was wohl geschähe, wenn er versuchen würde, Flora anzurufen.
Er nimmt den Hörer von der Gabel, wählt die Nummer seiner Wohnung in Jackson Heights und erhält sogleich die Antwort: Kein Anschluss unter dieser Nummer.
Er trocknet das Geschirr ab und stellt es in den Schrank zurück. Nachdem er das Licht in der Küche ausgemacht hat, geht er ins Wohnzimmer und denkt an Flora, seine dunkelhaarige argentinische Bettgefährtin, seine kleine Feuerschote, die Frau, mit der er seit drei Jahren verheiratet ist. Was die jetzt durchmachen muss, murmelt er vor sich hin.
Er löscht das Licht im Wohnzimmer. Er schnürt seine Schuhe auf, kriecht unter die Decken. Er schläft ein.
Einige Stunden später weckt ihn das Geräusch des Schlüssels in der Wohnungstür. Brick hält die Augen geschlossen und lauscht dem Scharren von Schritten, dem gedämpften Murmeln einer Männerstimme, der härteren, eher metallischen Stimme seiner weiblichen Begleitung, bei der es sich zweifellos um Molly handelt, ja, es ist Molly, die den Mann mit Duke anredet, und dann geht ein Licht an, ein tiefrotes waberndes Glimmen auf der Innenseite seiner Lider. Die beiden klingen ein wenig betrunken, und als das Licht ausgeht und sie ins Schlafzimmer trampeln wo sofort ein anderes Licht angeht –, scheint es ihm, als ob sie sich stritten. Bevor die Tür zufällt, hört er noch die Worte gefällt mir nicht, zweihundert, riskant, harmlos und begreift, dass sich der Streit um ihn dreht und dass Duke nicht sonderlich erfreut ist über seine Anwesenheit in der Wohnung.
Als der Tumult im Schlafzimmer (Kopulationsgeräusche: grunzender Duke, japsende Molly, quietschende Matratze, knarrende Sprungfedern) sich endlich legt und Brick wieder einschlafen kann, gerät er in einen komplizierten Traum über Flora. Zunächst spricht er am Telefon mit ihr. Es ist aber nicht Floras Stimme mit dem harten, gerollten R und dem singenden Tonfall, sondern die Stimme von Virginia Blaine, und Virginia/Flora bittet ihn, an eine gewisse Kreuzung in Buffalo, New York, zu kommen, aber nicht zu Fuß, vielmehr solle er dorthin fliegen; sie werde ihn erwarten, nackt unter einem durchsichtigen Regenmantel, in einer Hand einen roten Schirm, in der anderen eine weiße Tulpe. Brick erklärt ihr unter Tränen, dass er nicht fliegen könne; Virginia/Flora schreit wütend aus dem Hörer, sie wolle ihn nie mehr Wiedersehen, und legt auf. Fassungslos ob ihrer heftigen Reaktion schüttelt Brick den Kopf und brummt vor sich hin: Aber ich bin doch nicht in Buffalo, ich bin in Worcester, Massachusetts. Dann geht er in seinem Zavello-Kostüm mit dem langen schwarzen Umhang eine Straße in Jackson Heights hinunter und sucht nach dem Haus, in dem er wohnt. Aber das ist verschwunden, und an seiner Stelle steht eine Holzhütte mit einem Schild über der Tür: Uramerikanische Zahnklinik. Er tritt ein und erblickt Flora, die echte Flora, bekleidet mit einem weißen Schwesternkittel. Es freut mich sehr, dass Sie kommen konnten, Mr. Brick, sagt sie – anscheinend erkennt sie ihn nicht –, führt ihn in ein Sprechzimmer und bedeutet ihm, auf dem Behandlungsstuhl Platz zu nehmen. Es ist ein Jammer, sagt sie, indem sie eine große, glitzernde Zange ergreift, es ist wirklich ein Jammer, aber leider werden wir Ihnen alle Zähne ziehen müssen. Alle?, fragt Brick und gerät in Panik. Ja, antwortet Flora, alle. Aber keine Sorge. Wenn wir damit fertig sind, macht der Doktor Ihnen ein neues Gesicht.
Hier endet Bricks Traum. Jemand rüttelt ihn wach, bellt ihn mit lauter Stimme an, und als der benommene Träumer schließlich die Augen aufschlägt, erblickt er über sich einen breitschultrigen, muskelbepackten Mann in engem schwarzem T-Shirt und blauen Boxershorts. Ein Bodybuilder, denkt Brick, Mollys Freund Duke, der Typ, mit dem nicht gut Kirschen essen ist. Und dieser Mensch
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