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Mann im Dunkel

Mann im Dunkel

Titel: Mann im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Schafskopf. Herrgott, von welchem Planeten kommen Sie?
    Verstehe. Die unabhängigen Staaten haben einen Premierminister. Aber was ist mit den Föderalisten? Haben die noch einen Präsidenten?
    Ja, sicher.
    Wie heißt er?
    Bush.
    George W.?
    Richtig. George W. Bush.
    Brick hält Wort und stellt keine weiteren Fragen, und wieder gehen die beiden schweigend durch die Stadt. Als sie nach einigen Minuten in eine Straße gelangen, die von vierstöckigen, schon ziemlich schäbigen Mietshäusern mit abgeblätterten Holzfassaden gesäumt ist, hebt Molly die Hand. Sechshundertachtundzwanzig Cumberland Avenue. Da sind wir, sagt sie, nimmt einen Schlüssel aus ihrer Handtasche und schließt die Haustür auf. Brick folgt ihr über zwei wackelige Treppen hinauf zu dem Apartment, das sie und ihr namenloser Freund bewohnen. Die Wohnung ist klein, aber aufgeräumt, sie besteht aus einem Schlafzimmer, einem Wohnzimmer, einer Küche und einem Duschbad ohne Wanne. Beim Umsehen bemerkt Brick, es gibt weder Fernseher noch Radio. Als er das Molly gegenüber erwähnt, erklärt sie, in den ersten Kriegswochen seien alle Sendemasten im Bundesstaat gesprengt worden, und die Regierung habe kein Geld, sie wiederaufzubauen.
    Vielleicht, wenn der Krieg vorbei ist, sagt Brick.
    Ja, vielleicht, sagt Molly, indem sie aufs Sofa sinkt und sich eine Zigarette ansteckt. Aber das Komische ist, dass es keinem mehr etwas auszumachen scheint. Am Anfang war es schlimm – mein Gott, kein Fernsehen! –, aber irgendwie gewöhnt man sich daran, und nach ein, zwei Jahren gefällt es einem sogar. Die Stille. Keine Stimmen mehr, die einem rund um die Uhr in die Ohren plärren. Wir führen jetzt ein altmodisches Leben, so muss es vor hundert Jahren gewesen sein, stelle ich mir vor. Will man das Neueste erfahren, liest man die Zeitung. Will man einen Film sehen, geht man ins Kino. Schluss mit der ewigen Glotzerei. Ich weiß, viele Leute sind gestorben, und ich weiß, da draußen spielen sich ziemlich üble Sachen ab, aber vielleicht ist es das alles wert. Vielleicht. Nur vielleicht. Denn wenn der Krieg nicht bald aufhört, geht alles den Bach runter.
    Brick kann es sich zwar nicht erklären, aber er spürt deutlich, dass Molly ihn nicht länger wie einen Idioten behandelt. Was mag diese unerwartete Veränderung herbeigeführt haben? Dass sie für heute mit der Arbeit fertig ist, behaglich in ihrem Wohnzimmer sitzt und eine Zigarette raucht? Dass sie plötzlich Mitleid mit ihm bekommen hat? Oder dass sie ihn, weil er sie um zweihundert Dollar reicher macht, einfach nicht weiter auf die Schippe nehmen will? Wie auch immer, denkt Brick, die Frau ist unberechenbar, vielleicht nicht so grob, wie man meinen könnte, aber auch nicht allzu intelligent. Er hätte noch hundert Fragen an sie, möchte aber den Bogen nicht überspannen.
    Molly drückt ihre Zigarette aus, steht auf und sagt, sie sei in weniger als einer Stunde mit ihrem Freund in einem anderen Teil der Stadt zum Essen verabredet. Sie geht zu einem Schrank zwischen Schlafzimmer und Küche, nimmt zwei Laken, zwei Decken und ein Kopfkissen heraus, trägt die Sachen ins Wohnzimmer und wirft sie aufs Sofa.
    Bitte sehr, sagt sie. Da haben Sie Bettzeug, für Ihr Bett, das keines ist. Ich hoffe, es ist nicht allzu klumpig.
    Ich bin so müde, sagt Brick, dass ich auf einem Haufen Steine schlafen könnte.
    Falls Sie Hunger bekommen, holen Sie sich etwas aus der Küche. Ich habe noch eine Dosensuppe, Brot und ein wenig Truthahn. Sie könnten sich ein Sandwich machen.
    Wie viel?
    Wie bitte?
    Wie viel ich dafür zu bezahlen habe?
    Lassen Sie den Quatsch. Für das bisschen Essen berechne ich Ihnen nichts. Sie haben mir schon genug gegeben.
    Kann ich morgen hier auch frühstücken?
    Von mir aus gern. Wir haben aber nicht viel. Nur Kaffee und Toast.
    Ohne Bricks Antwort abzuwarten, stürmt Molly ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Die Tür knallt zu, und Brick schickt sich an, das Bett zu machen, das kein Bett ist. Als er fertig ist, sieht er sich in dem Zimmer nach Zeitungen oder Zeitschriften um, in der Hoffnung, auf irgendetwas zu stoßen, was ihm Aufschluss über diesen Krieg verschaffen könnte, einen Hinweis darauf, wo er gelandet ist, irgendeine noch so winzige Information, die ihn das verwirrende Land, in dem er gelandet ist, ein wenig besser begreifen lassen könnte. Aber im Wohnzimmer finden sich weder Zeitschriften noch Zeitungen – nur ein kleines Regal voller Taschenbuchkrimis und Thriller, wonach ihm ganz und

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