Mann meiner Sehnsucht (German Edition)
angesichts ihrer beinahe kindlichen Begeisterung.
Wie ich sehe, sind Sie auch lieber in der freien Natur, als eingesperrt in einer Stadt”, stellte er fest.
“Es war immer wie eine Befreiung, wenn Großvater und ich die Stadt wieder verlassen konnten”, erwiderte Hope mit geschlossenen Augen. Die Aufregung hatte ein wenig Farbe in ihre blassen Wangen gezaubert, und bereits die wenigen Stunden, die sie jetzt unterwegs waren, hatten begonnen, Sommersprossen wie kleine dunkle Punkte auf ihrer Nase tanzen zu lassen. “Ich glaube, ich war einfach noch zu klein, als meine Eltern aufbrachen auf den Siedlertreck, um mich an das Leben in der Stadt zu erinnern. Wir waren monatelang unterwegs, und danach lebte ich bei meinem Großvater. Manchmal, spät abends, wenn alles still ist, dann denke ich an hohe Gebäude aus Stein und an eine von Pferden gezogene Straßenbahn. Aber die Erinnerung daran ist sehr schwach. Vielleicht ist es auch gar keine Erinnerung, sondern eine Fantasievorstellung von etwas, das ich mal gehört habe. Wer weiß.”
“Was ist mit Ihren Eltern geschehen?”
“Sie starben auf dem Siedlertreck. Ich bekam die Masern und so nach und nach wurden auch andere Siedler krank. Viele starben, darunter meine Eltern.” Hope ballte ihre Hände zu Fäusten in Erwartung des Schmerzes, der sich in ihr Innerstes wühlen würde. Aber seltsamerweise tat er das nicht. Sie hatte lange nicht mehr an ihre Eltern gedacht, stellte sie mit einem leisen Gefühl von Schuld fest. Wenn sie einen Verlust in ihrer Kindheit betrauerte, dann war es eigentlich immer der Tod ihres Großvaters. Hatte der Tod ihrer Eltern für sie an Bedeutung verloren? Wann? Nein, überlegte Hope dann, auch nach all den Jahren schmerzte die Erinnerung an ihre Eltern noch, doch inzwischen konnte sie über ihren Tod zu sprechen, ohne sich dafür verantwortlich zu fühlen.
“Vermissen Sie sie?”, drang Gabriels Frage in ihre Gedanken.
Hope zuckte mit den Schultern. “Ich erinnere mich kaum noch an sie. Ich weiß nicht einmal mehr, wie sie ausgesehen haben. Es sind mehr Gefühle, Eindrücke, die ich noch von ihnen habe. Manchmal höre ich im Schlaf die Stimme meines Vaters, zumindest nehme ich an, dass sie es ist, und ich weiß, dass meine Mutter mir abends vor dem Einschlafen immer etwas vorgesungen hat. Ich war erst fünf oder sechs, als sie starben. Danach lebte ich dann fast drei Jahre bei meinem Großvater. Die Erinnerung an ihn ist viel lebendiger, obwohl ich auch bei ihm Schwierigkeiten habe, mir sein Gesicht vor Augen zu rufen. Aber ich erinnere mich an seine manchmal recht bärbeißige Art.” Sie lächelte. “Er war aufbrausend und laut, und anfangs hatte ich richtig Angst vor ihm. Bis ich gemerkt habe, dass er eigentlich ein Herz aus Gold hatte, und dass er genau so viel Angst davor hatte, mit einem kleinem Mädchen in der Wildnis zu leben, wie ich davor, mit ihm, der mir völlig unbekannt war, allein zu sein. Danach war er der beste Großvater, den ich mir wünschen konnte. Aber auch sein Tod tut nicht mehr so weh – hier.” Sie legte eine Hand auf ihr Herz. “Es sind die schönen Erinnerungen, die überwiegen, auch wenn ich ihn nach wie vor vermisse.” Sie sah auf ihre verkrampften Hände und blickte dann Gabriel an.
“Es wird ungewohnt sein, ohne ihn in den Bergen nach Gold zu suchen.”
“Wie weit ist es bis zur Mine?”, wechselte Gabriel unverhofft das Thema.
“Eigentlich müssten wir es auch mit dem Wagen an einem Tag schaffen”, entgegnete Hope überrascht über seinen sichtlichen Stimmungsumschwung. “Außer ich finde den Weg nicht sofort, dann werden wir wohl unterwegs übernachten müssen.”
“Ich dachte, Sie kennen den Weg.”
“Eigentlich schon. Aber Großvater nahm jedes Mal einen anderen. Ich weiß nicht, ob sie noch alle passierbar sind, immerhin sind es schon mehr als zehn Jahre, seit ich das letzte Mal dort war. Vielleicht werden wir unterwegs kehrt machen müssen. Aber keine Sorgen, einer der Wege wird uns schon an unser Ziel führen.
Beide schwiegen, während sie dem langsamen Klappern der Hufe lauschten und ihren Gedanken nachhingen. Ihre Pferde hatte Gabriel hinten an den Wagen gebunden, wo sie, die Köpfe gelangweilt gesenkt, hinter ihnen hertrotteten.
“Ist Ihnen jemals der Gedanke gekommen”, meinte Gabriel nach einer Weile, “dass jemand anderes die Mine entdeckt haben könnte?”
Hope dachte einen Augenblick lang darüber nach, dann schüttelte sie entschieden den Kopf.
“Nein”,
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