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Mann Ohne Makel

Titel: Mann Ohne Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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unwahrscheinlich, dass der Mann im Opel beobachtet hatte, wie Stachelmann die Autobahn verließ.
    Er fuhr schnell in Richtung Osten, bog an einigen Kreuzungen ab. Er erreichte Hennickendorf, dort stellte er seinen Wagen in den Schatten einer Linde und stieg aus. Das Dorf bestand aus wenigen Häusern, dazu ein paar Ställe und Scheunen. Einige Häuser und Wirtschaftsgebäude verfielen. Er blickte in eine Einfahrt zu einer riesigen Anlage aus Ställen, sie hatte einst der LPG Tierproduktion »Friedrich Engels« gehört. Die Ställe mussten seit Jahren leer stehen, Autowracks und ein rostiger Kinderwagen auf dem Hof, Glassplitter. Es war ruhig. Ein paar Hühner pickten auf dem Asphalt der Dorfstraße. Stachelmann hatte einmal als Student einer Delegation in die DDR angehört, organisiert von Heidelberger Kommunisten. Da wurde einem die Überlegenheit des Sozialismus vorgeführt. Sie besuchten auch eine LPG. Nie würde er vergessen, was ihr Vorsitzender seinen Gästen sagte zur Begrüßung: »Genossen, auch in der Tierproduktion steht der Mensch im Mittelpunkt.« Das war lange her. Heute war er auf der Flucht vor einem Irren, der ihn töten wollte.
    Warum? Stachelmann hatte sich schon im Krankenhaus den Kopf darüber zerbrochen. Es gab drei Möglichkeiten. Der Kerl war durchgeknallt und hatte sich Stachelmann als Opfer ausgesucht, weil ihm seine Haarfarbe nicht passte. Oder es hing mit seinen Recherchen zusammen. Oder Stachelmann war durchgeknallt, bildete sich den Schubser auf dem Bahngleis nur ein und litt unter Verfolgungswahn. Das traute er sich zu. Der Opel hatte ihn verfolgt, oder war es Einbildung? Stachelmann konnte sich die Sache so vorstellen, dass aus der Verfolgungsjagd ein Zusammentreffen von Zufällen wurde. Er hatte von Autofahrern gehört, die sich die Langeweile auf der Autobahn vertrieben, indem sie sich an einen anderen hängten. Sie fühlten sich besser in Gesellschaft.
    Das Grübeln brachte ihn nicht weiter. Wenn der Mann ihn ermorden wollte, dann würde er es in Weimar vielleicht wieder versuchen. Woher wusste der Mann überhaupt, dass sich Stachelmann in Berlin aufhielt? Warum, verdammt, fiel ihm diese einfache Frage erst jetzt ein?
    Er setzte sich in den Schatten der Linde auf eine Mauer, die einen kleinen Friedhof von der Straße abgrenzte.
    Wer wusste von seinen Recherchen in Berlin und Weimar? Bohming, Anne, Renate Breuer, vielleicht noch dieser oder jener Kollege. Vielleicht hatte es sich unter Studenten herumgesprochen, aber das war unwahrscheinlich. Hatte er im Seminar etwas erzählt? Nein, er hatte die Absicht gehabt, um seinen Studenten die Archivarbeit schmackhaft zu machen. Er hatte dann aber doch nichts gesagt, weil er Angst bekam, Alicia könnte ihn verfolgen.
    Dann fiel ihm der Besuch bei Holler ein. Er hatte es Holler erzählt, beiläufig, wie um seine Existenz als Historiker zu rechtfertigen. Er rechtfertigte sich oft, wenn es nicht angemessen war.
    Ein Traktor, grün, alt, schmutzig, dröhnte und klapperte die Pflastersteinstraße entlang. Er zog einen Hänger, auf ihm saßen zwei Kinder und starrten den Fremden an.
    Wenn Holler Stachelmanns Recherchen fürchtete, hatte er einen Grund, ihn zu töten. Womöglich ging es um seine Existenz. Konnte doch sein, dass Stachelmann etwas fand, das Holler vernichtete. Nein, widersprach sich Stachelmann. Wie alt wird Holler sein? Sagen wir, Ende vierzig, Anfang fünfzig. Er konnte in den Akten, die Stachelmann las, nicht auftauchen. Und Holler wusste, dass es unmöglich war. Aber sein Vater tauchte in den Akten auf. Herrmann Holler war SS-Offizier gewesen und hatte sich an Judeneigentum bereichert. Er hatte Himmler und Pohl in Bewegung gesetzt, um zu behalten, was er geraubt hatte. Und nun waren zwei seiner Enkelkinder und seine Schwiegertochter ermordet worden. Auch Robert Enheims Sohn war tot. Die Polizistin war überfahren worden. Jemand hatte Stachelmann auf Bahngleise gestoßen, er erinnerte sich an das sonnengebräunte alte Gesicht, oder war es ein schlechter Traum gewesen? Und Ulrike Kreimeier war vielleicht auf die Spur des oder der Mörder gestoßen und musste dafür sterben. Er wollte glauben, es hing alles zusammen. Aber er hatte keinen Beweis dafür.
    Wenn alle Fälle zusammenhingen, dann war er selbst das nächste Opfer. Dann suchte ein Mörder nach ihm, einer, der keine Hemmung hatte, Kinder zu töten. Der Mann war ein Monster.
    Er ordnete seine Gedanken, wie er es immer tat, wenn er auf eine Frage stieß, deren Antwort nicht

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