Mann Ohne Makel
auf, oder für immer. Dann bleibt es, wie es ist.«
»Man merkt es dir sonst nicht an. Wer hat keine Schmerzen im Rücken!«
»So sollte es eigentlich bleiben.«
»Die Enthüllung hat auch seine Vorteile. Wir Frauen sind für Mitleid empfänglicher als Männer.«
»Dumme Kuh.«
Sie lachte.
Es klingelte an der Tür. Mit einem Umschlag in der Hand kam Anne zurück ins Schlafzimmer. »Das Rezept ist schon da«, sagte sie. »Ich laufe schnell zur Apotheke.«
Sie wartete nicht auf eine Antwort.
Zehn Minuten später war sie zurück. In der einen Hand trug sie die Medikamentenschachtel, in der anderen ein Glas Wasser.
»Wie viele?«
»Drei.«
Sie drückte drei Tabletten aus dem Streifen und gab sie ihm.
Er schluckte sie und trank Wasser.
»Und nun wird alles besser«, sagte sie.
»Die Schmerzen lassen bald nach, die Schwäche bleibt. Wenn ich Glück habe, geht es morgen wieder einigermaßen. Ich werde versuchen zu schlafen.«
Er fühlte sich schwach, als er am nächsten Morgen aufwachte. Trotzdem hatte er sich etwas erholt. Vorsichtig stand er auf und ging zur Küche. Der Schmerz blitzte durch das linke Bein. Er blieb kurz stehen, ging weiter, als der Schmerz wich. Er roch Tee. Anne stand in der Küche. Sie goss Tee durch ein Sieb in eine Kanne und kehrte ihm den Rücken zu.
»Huch!«, sagte sie, als sie ihn erkannte. »Wieder unter den Lebenden?«
»Guten Morgen«, sagte er. »Tote kennen keinen Schmerz.«
Nach dem Frühstück gingen sie zum Seminar. Sie liefen langsam, seine Beine schmerzten. In seinem Dienstzimrner zeigte er auf den Berg der Schande. Nebeneinander und übereinander türmten sich die Akten. »Wenn ich nur wüsste, wo ich die Kopien hineingesteckt habe!«
Sie schaute ihn mit offenem Mund an. »Sag bloß, du hast es vergessen.«
Er überlegte. »In einen blauen Ordner, glaube ich.«
»Von denen gibt es mindestens fünf«, sagte sie. »Und ich will gar nicht wissen, wie viele noch, die wir nicht sehen.«
»Ich habe sie in einen mitten im Stapel gesteckt.«
»Dann haben wir ja nur ein paar tausend Seiten umzublättern.« Sie lachte. »Du bist das wandelnde Chaos.«
Er nickte. »Manchmal fürchte ich auch, dass ich es bin.«
»Dann wollen wir mal«, sagte Anne. Sie griff nach einem Ordner mit blauem Deckel und setzte sich an seinen Schreibtisch. Sie öffnete den Ordner, dann blickte sie zu Stachelmann, der sich an den Tisch lehnte, auf dem der Ordnerstapel lag. »Bist du einverstanden, dass ich mir das anschaue, oder hältst du es für Werksspionage?«
»Schnüffel nur herum in meinen kostbaren Quellen. Möge die Weisheit über dich kommen, sie auch zu verstehen.«
»Hältst dich wohl für was Besonderes, Herr Doktor Stachelmann.«
»Das zu beurteilen überlasse ich gern der Geschichte.«
Sie pfiff anerkennend. »Der größte Historiker seit Leopold Ranke! Ich fühle mich geehrt. Nach was soll ich suchen? Was stand im Kopf?«
»Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt.«
»Also, die SS, Herr Pohl und die KZs.«
»Gut aufgepasst, Frau Kollegin.« Er nahm ebenfalls einen blauen Ordner und setzte sich auf den Besucherstuhl, Anne gegenüber. Sie blätterten schweigend.
Anne stand auf. »Soll ich dir einen Kaffee mitbringen?«
Er nickte.
Sie kam mit zwei Bechern zurück und lachte. »Weißt du, wen ich gerade eben auf dem Hof gesehen habe? Hand in Hand, innigst vereint?«
Er schüttelte den Kopf.
»Deine Freundin«, sagte sie.
»Wen?«
»Na, das Engelchen aus deinem Seminar, das für dich sterben wollte.«
»Alicia!«, sagte er. »Und wen noch?«
»Den Kugler von den Politologen!«
»Den schönen Kugler?«
»Genau den.«
»Da haben sich ja die Richtigen gefunden.« Stachelmann lachte, »Die hatte ich ganz vergessen, dabei war es die erste Frau, die wegen mir sterben wollte. Das kann ja auch nicht jeder von sich sagen.«
»Bevor du größenwahnsinnig wirst, ran an die Arbeit.«
Anne zog einen Ordner aus dem Stapel. »Überall Staub, hast lange nicht hineingesehen.«
»So kann man es sagen.«
»Ich habe hier was über die Gründung des KZ Buchenwald.«
»Kannst du dir kopieren, wenn wir die Pohl-Akten gefunden haben. Ich könnte mich erschießen dafür, dass ich nicht mehr Akten in Berlin kopiert habe. Ich hatte zu viel Schiss.«
»Ich hätte mich nicht getraut, da einzubrechen.«
»Und jetzt sind alle Akten verbrannt, und nur der Himmel weiß, ob es irgendwo noch ein paar Kopien gibt.« Es wäre so leicht gewesen, den ganzen Stapel mit Pohls Korrespondenz auf den
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