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Mann Ohne Makel

Titel: Mann Ohne Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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tranken viel. Er hatte sich gestritten mit Karin, nach dem Urlaub war die Beziehung zu Ende. Das war vor ziemlich genau drei Jahren gewesen. Er hatte seitdem kaum mehr an Karin gedacht.
    Er verließ die Autobahn an der Ausfahrt Reinbek. Nach wenigen Minuten parkte er seinen Wagen vor einem weißen Einfamilienhaus mit zwei Stockwerken und einem roten Spitzdach. Es lag in einer Siedlung mit weißen Einfamilienhäusern mit rotem Spitzdach. Alle Häuser hatten einen Vorgarten, manche mit Gartenzwerg, andere ohne. Manche mit Hecke, manche mit Zaun, andere verzichteten auf Abgrenzung. Seine Eltern hatten sich für einen Kaninchenzaun entschieden.
    Sie taten an diesem Samstagnachmittag, was sie immer taten, wenn Stachelmann seine Eltern besuchte. Sie aßen Kuchen, tranken Tee, redeten über Stachelmanns Dasein an der Uni. Er verschwieg seinen Eltern, was ihn bedrückte. Sie hätten sich nur gesorgt, helfen konnten sie ihm nicht. Der Vater saß dünn und gerade am Tisch, sprach über Gaxottes Biografie Friedrichs des Großen, die schon 1938 erschienen, aber immer noch unübertroffen sei. Seinem Vater verdankte Stachelmann das frühe Interesse an der Geschichte, genauer an preußischen Heldensagen. Amüsiert bemerkte Stachelmann bei sich hin und wieder eine Abneigung gegen Süddeutsche, Bayern vor allem. Er erinnerte sich gern, wie ihm der Vater früher Bücher aus seiner Bibliothek gab, in denen Preußens Gloria gepriesen und die Hinterlist der Feinde verachtet wurde, vor allem der Franzosen. Jeder Stoß ein Franzos’. Längst hatte der Vater bemerkt, dass der Sohn seine Vorurteile nicht teilen wollte. So lebten sie friedlich aneinander vorbei. Meistens erzählte der Vater Geschichten aus seiner Zeit bei der Hamburger Oberpostdirektion und klagte über die magere Pension, die man ihm nach so langer Dienstzeit zugesprochen habe. Immerhin reichte die Pension, jedes Jahr zwei Mal in Urlaub zu fahren und ein Haus zu unterhalten, das viele andere alte Leute als zu groß empfänden.
    Seine Mutter drängte ihm immer mehr Kuchen auf, als seinem Bauchansatz zuträglich war. Aber da er seine Eltern selten besuchte und er sich noch seltener wog, aß er gern ein weiteres Stück gedeckten Apfelkuchen mit Sahne. Seine Mutter setzte die Kaffeetasse an den Mund, nippte und stellte die Tasse bedächtig auf die Untertasse. Dann sagte sie: »Du hast doch bestimmt von diesem Kindsmord in Hamburg gelesen?«
    Stachelmann nickte mit vollem Mund.
    Sein Vater sagte: »Schlimme Geschichte.« Er nahm sich ein weiteres Stück Kuchen. »Übrigens, den alten Holler habe ich gekannt, ein feiner Kerl.«
    »Woher?«, fragte Stachelmann.
    »War wie ich im Staatsdienst, er blieb allerdings bei der Polizei.« Stachelmann stutzte. Sein Vater hatte ihm nie erzählt, dass er bei der Polizei war. »Wann warst du denn bei der Polizei?«
    »Nur kurz, im Krieg, eine Art Hilfspolizist.«
    Stachelmann überlegte. Wie kam ein Postsekretär zur Polizei? »Davon hast du aber bisher nie was erzählt«, sagte er.
    »Ist nicht wichtig«, sagte der Vater. »War nur kurz. Aber nach dem Krieg, da habe ich den Holler im Polizeisportverein wieder getroffen. Ein oder zwei Mal. Hat sich dann selbstständig gemacht, wurde Makler, Bürgerschaftsabgeordneter und so weiter. Das war ein feiner Kerl. Völlig uneitel, hatte für jeden ein offenes Ohr.«
    »War?«
    »Ja, der ist irgendwann in den siebziger Jahren gestorben. Auf Mallorca von einem Felsen gestürzt.«
    »Und warum warst du bei der Polizei?«
    Der Alte schloss kurz die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Die Mutter starrte auf das Tischtuch. Dann sagte der Vater: »Ich war nicht wehrtauglich. Und als dann Goebbels, dieser Idiot, den totalen Krieg ausgerufen hat, haben sie alle Dienststellen durchkämmt. Die Front brauchte Frischfleisch, vor allem im Osten. Mich hatten sie auch am Wickel, aber dann haben sie festgestellt, dass ich Rheuma hatte. Es ist Gott sei Dank nicht das Einzige, was ich dir vererbt habe. Aber für die Polizei hat es gereicht. Wir mussten Wache schieben und so was.«
    »Und warum hast du davon nichts erzählt?«, fragte Stachelmann.
    »Was gibt es da zu erzählen? Du läufst mit einer alten Flinte durch die Gegend und tust nichts.«
    Stachelmann glaubte seinem Vater nicht. Nicht dass er log, aber er verschwieg etwas. Wenn es so harmlos war, dann hätte er es erzählt, so, wie er viele andere Geschichten erzählte. Aber hatte es einen Sinn, herumzubohren? Sein Vater hatte vielleicht Kriegsgefangene,

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